Sechs, Sieben, Cache! | Ein Hildesheim-Krimi
ihren Augenlidern herum?
Sie krächzte seinen Namen.
„Alles ist gut. Ich bringe Sie in Sicherheit.“
Er hob sie hoch, als wöge sie nichts.
War schon so viel von ihr geschmolzen?
Warum war ihr dann immer noch kalt?
Sie wollte ihre Hände um seinen Hals schlingen, sich festhalten, wusste aber nicht wie.
Sie würde es später noch einmal versuchen.
Später.
58
Alfeld, Donnerstag, der 15.9.2011
Sie fanden nichts heraus, überhaupt gar nichts. Die Aushilfe, die das Paket angenommen hatte, erinnerte sich an einen Mann, mittelgroß, mittelalt, deshalb für sie uninteressant und niemand, an den man sich erinnern musste.
Bei dem Paket selbst handelte es sich um ein Standardpaket der Deutschen Post. Erste Untersuchungen ergaben keinerlei Fingerspuren.
Wunderte sie das?
Im Gegenteil, Lisa hatte nichts anderes erwartet.
Blieb der winzige Leichnam. Ein Auge offen, eines geschlossen, die klitzekleine Nase platt gedrückt von der Folie. Nackt, mit bläulicher Haut und dunklen Haaren.
Lisa sah immer wieder die filigranen Finger der rechten Hand vor sich. Seltsam verbogen, vor dem leicht geöffneten Mund. Die unendlich kleinen Fingernägel hatten Kratzer auf dem Kinn hinterlassen.
Dann hatte sie den Blick abgewandt, hatte versucht, ihn zu löschen. Doch das ging nicht, funktionierte nie. Mit der Zeit würden die Bilder verblassen, vergehen würden Sie wohl niemals.
Die Gerichtsmedizinerin hatte es persönlich abgeholt, hatte nur einen Blick darauf geworfen und gesagt: „Luftmangel, es ist erstickt. Ich rufe Sie gegen Abend an.“ Sie schickte sich bereits an zu gehen, da fiel ihr noch etwas ein: „Auf mich wirkt es slawisch.“
Slawisch? Was hieß das? War dies ein russisches Kind?
Wie kam es aus der Weite der russischen Taiga in einen engen Pappkarton in eine Alfelder Eisdiele?
Kurz dachte sie darüber nach, ob sie Fitz anrufen sollte. Obwohl sie überzeugt war, dass weder die Nachricht noch das Paket von ihm stammte, mussten sie ihn der Ordnung halber wohl befragen.
Am liebsten hätte sie einen unbeteiligten Kollegen damit beauftragt.
Wie gerufen stürmte Sina in die Eisdiele. „Ihr müsst los. Wir haben den Achten.“
59
Hildesheim, Donnerstag, der 15.9.2011
Ingolf Stadler arbeitete bei der Hildesheimer Sparkasse. Er betreute die Geschäftskunden und traf sich nur widerwillig mit Lisa und Markus.
„Ich habe Termine“, sagte er, ohne ihnen einen Stuhl anzubieten. „Bitte fassen Sie sich kurz.“
Bevor Lisa ihm ein „Wir gehen davon aus, dass Sie innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden sterben werden“ an den Kopf werfen konnte, hatte Markus reagiert. „Sie werden sich Zeit nehmen müssen. Glauben Sie, wir suchen Sie zum Spaß auf?“
Stadlers Augen weiteten sich flüchtig.
Markus fragte: „Haben Sie in der Zeitung von den Geocaching-Morden gehört?“
Stadler atmete sichtbar auf. „Sie wollen meine Hilfe als Experte.“
„Nein!“
„Das ist während der Arbeitszeit schlicht unmöglich. Kommen Sie um 17 Uhr wieder. Dann habe ich wahrscheinlich Feierabend.“
„Nein, wir brauchen Ihre Hilfe nicht. Wir wollen Ihnen helfen.“
„Mir helfen? Besitzen Sie zufällig ein unbebautes Grundstück, circa zwölftausend Quadratmeter, Autobahnanschluss und nicht im Natur- oder Wasserschutzgebiet gelegen? Nein? Nun, das würde mir helfen.“
Lisa hätte dem arroganten Schnösel gern ihr Knie in die Weichteile gerammt, doch dazu hätte sie ihn berühren müssen. Vielleicht wäre ein Tritt in den Arsch die beste Lösung.
Markus wurde lauter: „Jetzt hören Sie mir zu, und zwar genau. Sie sind das achte Opfer des Geocaching-Mörders.“ Er ließ eine Pause, in der er Stadler beobachtete.
Der sagte: „Ich habe Ihnen zugehört. Und nun? Sind Sie jetzt fertig? Würden Sie endlich gehen und mich weiterarbeiten lassen?“
„Haben Sie mich nicht verstanden?“
„Doch, doch, kein Problem, ich soll das achte Opfer sein. Haha, selten so gelacht. Auf Wiedersehen.“
Markus ballte die Hände zu Fäusten. Betont langsam ging er zu dem Konferenztisch, der im Raum stand, und zog sich einen Stuhl heraus. Dann setzte er sich in Zeitlupe hin, ruckelte sich zurecht und platzierte beide Hände flach auf die Tischplatte. „Sie setzen sich jetzt auf diesen Stuhl, direkt mir gegenüber. Verstanden?“
Der Mann legte die Handflächen zu einer betenden Geste zusammen und sagte: „Da es wohl nichts nützt, wenn ich die Polizei rufe, um Sie hinauswerfen zu lassen, beuge ich mich.“ Er setzte sich auf
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