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SECHS

SECHS

Titel: SECHS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Gerhardt
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jemand verspüren kann, der in einem fremden Land lebt und in dessen Herzen eine Sehnsucht nach der Heimat brennt. Da war jedes Gespräch in der Muttersprache willkommene Abwechslung und Balsam für die Seele zugleich. Erst recht, wenn man gerade so respektlos behandelt worden war. Oh, er konnte sie verstehen.
    Nachdem er sich geduldig angehört hatte, woher sie stammte, dass ihr Mann bereits an seiner Alkoholsucht verstorben sei, sie nur noch wegen ihrer Kinder in Deutschland wäre, beschrieb er ihr, nach wem er suchte. Die Alte hörte aufmerksam zu und nickte zwischendurch eifrig.
    Als er mit seiner Personenbeschreibung fertig war, schwieg sie einen Moment andächtig und bekreuzigte sich. Dann nahm sie voller Mitgefühl seine Hände und drückte sie aufmunternd.
    Sie erklärte ihm traurig, wie sie beobachtet habe, dass sein armer Freund heute Morgen in den OP-Saal geschoben, aber kurz danach wieder herausgerollt worden war. Tot. Er läge jetzt bestimmt schon in einer dieser kalten Stahlschubladen. In dem Raum, in dem sie nicht gerne putze. Da, wo jeder am Ende seines Weges landete. Gott sei seiner Seele gnädig.
    Ein stummer Schrei des Triumphs hallte durch sein Hirn. Jetzt musste er nur noch den Beweis dafür erbringen, dass er nicht versagt hatte und sein Ruf war wieder hergestellt.
    Der falsche Pjotr bekreuzigte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht, und während er das tat, fiel sein Blick auf den am Putzwagen hängenden Schlüsselbund. Wenn die Alte im Kühlraum saubermachte, dann war das der Zugang.
    „Babuschka! Ich muss meinen Freund noch einmal sehen und mich verabschieden. Kannst du mir helfen?“
    Sie überlegte kurz. Die Traurigkeit in seiner Stimme hatte ihr Herz erweichen lassen wie Butter in der Sonne. Und obwohl sie natürlich wusste, dass niemand in den Keller durfte, konnte sie das ihrem Landsmann nicht abschlagen. Sie nickte.
    Sirkowsky lächelte.

-16-
     
    Der weiß getünchte Keller war kalt. Neonröhren hingen an der Decke, flackerten und gaben dabei ein leichtes Transistorsummen von sich. Ihr Weg führte sie durch zwei Sicherheitstüren, die von der Alten mit einem laut von den Wänden widerhallenden Knacken aufgeschlossen wurden. Sirkowsky lief die ganze Zeit hinter ihr. Seine freudige Erregtheit wurde nur von dem Gedanken getrübt, dass ihnen hier unten, so kurz vor dem Ziel, jemand begegnen könne. Einen zweiten Anlauf würde das Mütterchen dann sicherlich nicht mehr wagen - und wohl auch nicht mehr können. Denn fand jemand heraus, dass sie einen Fremden in den Keller führte, würde sie wohl ihren Job verlieren. Das war ihm egal, ganz bestimmt aber nicht egal aufzufliegen. Das durfte nicht passieren und, verdammt, er würde es zu verhindern wissen.
    Jetzt erreichten sie die letzte Tür. Die Putzfrau nickte, deutete ihm so, dass sie am Ziel waren. Sirkowsky lächelte wieder.
    In die große Aluminium-Schiebetür war ein Sichtfenster eingelassen und so sah er, dass der Raum dahinter in völliger Dunkelheit lag. Der Weg war frei. Niemand hatte sie aufgehalten und auch hinter der Tür befand sich keiner, zumindest kein Lebender, der das jetzt noch vermochte. Und die Toten, das wusste er aus jahrelanger Erfahrung, scherte nichts mehr.
    Er trat an der alten Frau vorbei und schob die Tür mit einem kräftigen Ruck beiseite. Dann ging er ins Dunkle. Das Generatorbrummen der Kühlung erfüllte den Raum. Als er den Lichtschalter gefunden und betätigt hatte, erwachte auch hier die grelle Neonbeleuchtung zum Leben.
    Der Raum war komplett weiß gekachelt. Es roch stark nach einer Mischung aus Desinfektionsmitteln und Formalin. Am Ende des Raums stand eine stählerne Kühlbox mit insgesamt neun Türen. Drei oben, drei in der Mitte und drei unten.
    Sirkowsky zog sich bedächtig seine Lederhandschuhe über und schritt auf die Box zu. Er fing mit der Tür links oben an. Nachdem er sie geöffnet und die dahinter liegende Bahre herausgezogen hatte, befreite er den aufgebahrten Körper von dem weißen Leinen, in das er eingeschlagen war.
    Niete .
    Das war nichts weiter als die verschrumpelte Hülle eines alten Mannes. Er warf das Tuch wieder zurück, schob die Schublade hinein und schloss die Kammer. Hinter der nächsten Tür verbargen sich die Überreste einer Frau. „Überreste“ traf es ziemlich genau. Sirkowsky vermutete einen Motorradunfall oder Ähnliches.
    Er nahm sich Schublade Nummer drei vor. Auch hier kein Treffer. Ein junger Typ, der sich eine Ladung Blei eingefangen hatte. Seinen Bauch

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