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SECHS

SECHS

Titel: SECHS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Gerhardt
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Blass. Wie eine Puppe aus dem Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds.
    Die Decke war bis zur Hüfte herunter geschlagen, so dass sie die Elektroden sehen konnte, die auf seiner rasierten Brust klebten. Von ihnen führte ein Gewirr aus Kabeln zu Geräten, die unablässig blinkten. Das Auffälligste von ihnen, und das ihr einzig bekannte Gerät, war das EKG, das die Herzfrequenz ihres Mannes auf einem Monitor abbildete und von Leben tief in seinem Inneren kündete.
    Aus Franks Hals ragte ein Beatmungsschlauch, auch in seiner Nase und seinen Armen verschwanden Schläuche. Blut sickerte durch Drainagen ab. Die Metallgestänge der Fixateure ragten wie Hähnchen-Spieße aus dem Fleisch seiner Beine und dem seiner Hüfte. Wundverbände waren punktuell rot gefärbt.
    Die vielen weiteren Details dieses Anblicks ließen etwas in ihr zerbrechen und das war vor allem der Glaube an Gerechtigkeit.
    Warum er?
    Nichts konnte einen auf ein solches Grauen vorbereiten. Absolut nichts! Auch nicht der Anblick all der Patienten, die sie durch die Scheiben hatte sehen können.
    Denn das hier war ihr Mann!
    Bislang war sie stark geblieben, hatte sich beherrscht, vor allem um den Kindern Halt zu geben. Aber jetzt brach sich die Anspannung mit aller Macht Bahn. Sie zitterte am ganzen Körper, sie wollte schreien, aber aus ihrem Mund kam nur ein erstickter Laut. Hemmungslos fing sie an zu weinen. Als ihre Tränen schließlich versiegt waren und ihr der Kehlkopf vor Anstrengung schmerzte, waren ihre Hände, die Bluse, ihr ganzes Gesicht vollkommen nass und die Wimperntusche hatte hinter der Schutzmaske lange, schwarze Fäden auf ihre Wangen gezeichnet.
    Jetzt erst machte Melanie einen Schritt auf ihn zu.

-23-
     
    Als Melanie neben dem Bett stand und auf ihren Mann herunterblickte, musste sie sich beherrschen, nicht erneut loszuweinen. Sie verharrte einige Minuten schweigend. Dann berührte sie vorsichtig seinen Arm, streichelte ihn so sanft, als könne er unter ihren Berührungen zu Staub zerfallen.
    „Hallo ... Süßer", sagte sie mit gepresster Stimme.
    In diesem Moment registrierte das EKG eine ansteigende Herzfrequenz.

-24-
     
    Frank sah auf sich herab. Gelöst von seinem Körper schwebte er über sich selbst. In diesem schwarzen Nichts, in dem er langsam im Rhythmus nicht vorhandener Wellen wiegte, erklang plötzlich hallend eine Stimme. Er sah, wie er den Kopf in die Richtung drehte, aus der die Stimme gekommen war.
    Dann, schlagartig, wechselte die Perspektive und er war wieder in sich selbst. Er erblickte einen hellen Lichtfleck in der Ferne. Er erschien ihm wie eine Tür. Eine geöffnete Tür zu seinem Geist, durch die nun jemand zu ihm in die Finsternis hinunterrief.
    Ich liebe dich, hörst du? , sagte die Stimme. Ich werde nicht zulassen, dass du gehst.
    Die Stimme klang vertraut. Er kannte sie.
    Du darfst uns nicht im Stich lassen. Die Kinder brauchen dich, ich brauche dich. Wie sollen wir nur ohne dich leben?
    Melanie? Melanie bist du das?
    Hast du gehört, Frank?! , echote es in seine Dunkelheit.
    Wieder außerhalb seines Körpers, sah er, wie er versuchte auf sich aufmerksam zu machen. Er bewegte die Arme, die Beine, doch alle seine Bewegungen waren behäbig. Wie die eines in den Weiten des Weltraums Verschwindender, dessen halt- und hilflose Glieder verzweifelt gegen die Schwerelosigkeit ankämpfen. Dann wurde er erneut in seinen Körper gezogen.
    Ja, ich höre dich! Ich bin hier! Hilf mir! , schrie er zu dem Lichtfleck hinauf. Er fühlte, wie er weinte.

-25-
     
    Als Melanie hinter sich die Tür aufgehen hörte, wischte sie sich schnell die Tränen aus den Augen. Frauke trat ein. Sie stellte sich hinter Melanie und strich ihr tröstend über den Rücken.
    „Geht es?“, fragte sie.
    Melanie nickte zaghaft.
    „Sagen Sie mir, dass es wieder wird ...“
    Die Ärztin zögerte einen Moment.
    „Wir tun unser Bestes. Das verspreche ich Ihnen. Ihr Mann ist bei uns wirklich gut aufgehoben.“
    Wieder nickte Melanie, doch mehr um sich selbst Mut zu machen und weniger, weil sie der Ärztin Glauben schenkte.
    „Frau Brenner. Wir müssen jetzt einige Kontrollen durchführen. Vielleicht ist es besser, Sie bringen die Kinder nach Hause, ruhen sich alle ein wenig aus und kommen dann morgen wieder.“
    Melanie mochte nicht gehen. Sie wollte an seiner Seite bleiben. Wenn nötig so lange, bis er wieder aufwachte. Aber sie wusste natürlich auch, dass ihr Bleiben keine Hilfe war. Zudem fiel ihr ein, dass Claire und Sofie noch nichts

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