SECHS
- natürlich ohne gehört zu werden. Die Stimme hatte ihr die Zukunft gestohlen und das würde sie ihr niemals verzeihen.
-42-
Bent Jasper saß am Tisch und aß Abendbrot. Alleine. Er war seit einem Jahr geschieden. Seine Frau hatte sich, nachdem der gemeinsame Sohn flügge geworden war, oft alleine gefühlt. Vor allem dann, wenn er Nachtdienst geschoben hatte.
Aber in seinem Beruf lag nicht der einzige Grund für das Scheitern seiner Ehe. Sein Hobby, die Videofilmerei und der dafür nötige Filmschnitt am Computer, hatte die restliche freie Zeit aufgebraucht. Zeit, die seine Frau mit ihm hatte verbringen wollen und auch eingefordert hatte. Ungehört.
Viele solcher Fehler waren gemacht worden. Auf beiden Seiten. Geradezu klassisch war, fand er, dass sie beide ihre Verfehlungen, Irrungen und Wirrungen erst dann zur Kenntnis genommen hatten, als es bereits zu spät gewesen war.
Während er dasaß und über Vergangenes und Zukünftiges nachdachte, streiften seine Gedanken auch die Gegenwart. Der Fall Steinmann beschäftigte ihn - auch wenn es nicht seiner war.
In dieser Angelegenheit gab es Klärungsbedarf. Dass der Mann tot war, machte die Sache wirklich delikat. Warum um Himmels willen war diese Liebermann so vom Kurs abgekommen? Die Frau hatte einen regelrechten Haken gefahren, um den Mann zu erwischen. Herzinfarkt mit Mitte dreißig? Möglich, aber unwahrscheinlich. War dem Unfall ein Ausweichmanöver vorausgegangen oder lag dahinter Absicht? Letzteres hielt er für wenig plausibel – zumindest wenn sie kein weiblicher Kamikaze war. Denn sie musste gewusst haben, dass sie dabei selbst nicht heil davon kommen konnte. Die Bilder des völlig zerstörten Micra waren stumme Zeugen der Kräfte, die gewirkt hatten. Aber wenn die Geschichte das Ergebnis einer Beziehungstat war, dann mochte vielleicht doch etwas dran sein. Die Liebe trieb die Menschen oft zu selbstzerstörerischen Taten.
Jasper schüttelte den Kopf.
Nein. Vermutlich ist es trivialer , dachte er. Das Problem war nun, dass dem Geheimnis nicht so einfach auf die Spur zu kommen war. Diese Liebermann war nicht vernehmungsfähig. Sie lag, wie er von der Ärztin erfahren hatte, im Koma und niemand konnte sagen, wie lange das noch so blieb.
Was auch immer hinter diesem Fall steckte, darum würde sich die Kollegin Zedler kümmern müssen. Sie hatte den Unfall aufgenommen und damit war es ihre Sache. Er wusste nur aus Erzählungen und der Einsicht in die Bilder und Protokolle von dem Fall. So sollte es bleiben – bei all seiner professionellen Neugier.
Jetzt wanderten seine Gedanken zu seinem eigenen Fall. Dem von Frank Brenner.
Für Bent Jasper war der nichts Ungewöhnliches. Seine Polizei-Laufbahn währte nun schon mehr als zwei Jahrzehnte und war durchsetzt von Verkehrsunfällen. Und darunter waren weitaus Schlimmere gewesen. Bei Brenner war es dagegen verhältnismäßig glimpflich ausgegangen - zumindest, wenn man nicht davon ausging, dass das Jenseits ein besserer Ort war als das Diesseits.
Wie auch immer. Diese Angelegenheit produzierte in jedem Fall ein Bauchgefühl, das er einfach nicht ignorieren konnte.
Nicht selten hatte dieses unbestimmte Gefühl dazu geführt, dass er noch etwas entdeckte, was zunächst nicht offensichtlich war. Daraus hatte sich über die Jahre die Überzeugung entwickelt, dass manche Dinge, so klar sie zunächst erschienen, einen zweiten Blick verdient hatten.
Er rief sich die Bilder ins Gedächtnis.
Als er und seine Kollegin Severin am Unfallort angekommen waren, hatte sich ihnen kein besonders dramatischer Anblick geboten. Das war dem Umstand zu verdanken, dass der Notarzt bereits fieberhaft damit beschäftigt war, das Unfallopfer Frank Brenner zu versorgen. Lediglich ein dunkelroter Fleck auf der Straße zeugte von dem, was diesem bemitleidenswerten Teufel zugestoßen war.
Die Frau, die den Wagen gefahren hatte, war nur leicht verletzt. Sie war ansprechbar und hatte bei ihm einen durchaus gefassten Eindruck hinterlassen. Die Vernehmung vor Ort ergab, dass sie zwar noch versuchte hatte zu bremsen, es aber bereits zu spät gewesen war.
Und genau hier meldete sich der Bauch.
Er dachte an die Ergebnisse der Bremsspur-Vermessung. Der Wagen war zum Zeitpunkt des Aufpralls etwa vierzig Kilometer pro Stunde schnell. Das ergab sich aus dem rund sieben Meter langen Abrieb. Stutzig machte ihn die Tatsache, dass diese Spur nicht die einzige war. Vor ihr existierte eine andere. Diese Erste nahm kurz hinter der Ampel ihren
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