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SECHS

SECHS

Titel: SECHS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Gerhardt
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Zigarette lechzte, fummelte fahrig in der Packung. Als ihre zitternden Finger endlich eine Zigarette herausgefischt hatten, klemmte sie die zwischen die bebenden Lippen. Dann hielt sie Melanie die Schachtel hin. Die aber schüttelte den Kopf. Sie hatte noch nie geraucht und auch jetzt, in dieser Situation, wo es ihr Frank sicherlich nachsehen würde, wollte sie damit nicht anfangen.
    Während sich Corinna bemühte, die wild flackernde Flamme vor dem Wind zu schützen, bat Melanie um das Handy. Die Kinder waren seit mehr als zwei Stunden alleine zu Hause und sie musste einfach in Erfahrung bringen, ob alles in Ordnung war. Doch das war nicht der alleinige Grund. Jetzt war ihre Stimme noch ruhig, aber je nachdem was der Anruf bei der Polizei brachte, konnte sich das schnell ändern. Ihre Kinder waren hochsensible Antennen, die stets auf einem Frequenzband lauschten, über das Melanie ihre Stimmung übertrug. Es war also ratsam, nichts zu senden.
    Als Corinnas Bemühungen endlich vom Erfolg gekrönt waren, händigte sie Melanie das Telefon aus.
    Das Freizeichen ertönte. Einmal. Zweimal. Aber auch nach dem zehnten Freizeichen nahm niemand ab. Melanie fühlte die Panik in sich aufsteigen. Was war da los? Weitere zehn Mal klingelte es, aber noch immer hob niemand ab. Dann wurde der Ruf zwangsweise abgebrochen. Sie wählte erneut mit zittrigen Fingern. Es brauchte fünf weitere Freizeichen, dann endlich hörte sie ein erlösendes Knacken. Jemand nahm die Verbindung an.
    „Hallo?“, kam es vorsichtig.
    Das war Claire!
    Das Zittern hatte sich mittlerweile bis in Melanies Knie vorgearbeitet.
    „Warum hat das so lange gedauert?“, herrschte sie ihre Tochter an. Corinna musterte Melanie irritiert.
    „Aber ... aber du hast doch gesagt, wir sollen nicht ans Telefon gehen!“, kam es entrüstet durch den Hörer.
    Melanie wollte im Boden versinken. Natürlich! Die Kinder hatten die Nummer nicht erkannt und völlig korrekt gehandelt. Sie sendete Stoßgebete gegen den Himmel, dass ihre Große sich letzten Endes doch entschieden hatte, gegen die Anweisung zu handeln.
    „Kind, entschuldige. Ich habe das völlig vergessen.“ Melanie strich sich fahrig durch die Haare.
    Melanie erfuhr nun, dass zu Hause alles in bester Ordnung war. Zumindest, wenn man die üblichen Streits außer Acht ließ, von denen Claire ihr über eine ganze Zigarettenlänge hinweg berichtete. Am Ende des Wortschwalls war Melanie beruhigt. Sie versprach ihrer Tochter, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis sie zu Hause wäre.
    „Okay, Mama.“
    Zu einem „Tschüss“ kam es nicht mehr. Die Leitung wurde unterbrochen. Claire hatte, wie so oft, kurzerhand aufgelegt. Melanie blickte noch einen Moment ratlos auf das Handy und gab es wieder an Corinna zurück.
    Die ließ die Kippe auf den Boden fallen und durchkämmte die Anrufliste nach der Nummer der Polizei. Zwischenzeitlich waren keine weiteren Anrufe eingegangen, so dass es ihr ein Leichtes war, die Nummer zu identifizieren. Es war die in der Liste obenstehende.
    Corinna atmete durch und betätigte dann die Taste mit dem grünen Hörersymbol. Jeder Freiton kam ihr vor, wie die Fanfaren von Jericho. Aber ihre Mauer hielt. Noch.
    „Matthau. Polizeidienststelle Marzahn", meldete sich ein Mann.
    „Liebermann. Ich rufe in der Unfallsache meiner Schwester Anna Liebermann an.“
    „Haben Sie ein Aktenzeichen?“, fragte Matthau.
    „Nein. Der Unfall ist heute Morgen passiert.“
    „Moment.“
    Corinna hörte Papier rascheln und dann Matthau, der mit einem Kollegen Rücksprache hielt. Ohne Vorwarnung wurde sie in die Warteschleife befördert.
    Kurze Zeit später meldete sich Matthau zurück.
    „Hören Sie? Ich habe den Fall vorliegen. Wie kann ich helfen?“
    „Ich will wissen, wer ...“, sie zögerte, „... der Unfallgegner ist.“
    Wieder raschelte Papier und sie hörte auch Tastengeklapper.
    „Der Geschädigte ist ein Professor Helge Steinmann.“
    Jetzt gab es einen Namen! Dass dieser nicht Frank Brenner lautete, stellte keine sonderliche Überraschung mehr dar.
    Nun galt noch in Erfahrung zu bringen, was dem Mann widerfahren war, ob sich die Polizistin vielleicht doch verwählt hatte und so die Aussicht darauf bestand, dass dieser Steinmann lebte. Doch tief in ihrem Inneren kannte Corinna bereits die Antwort. Nach den Geschehnissen des heutigen Tages glaubte sie nicht mehr an Wunder - weder für ihre Schwester noch für sich selbst. So sehr sie die Antwort fürchtete, so sehr aber brauchte sie

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