SECHS
reingehen? So langsam friere ich.“ Corinna lächelte verlegen.
„Nein. Ich muss zu meinen Kindern. Ich habe sie schon viel zu lange allein gelassen.“
Corinna nickte.
„Ich würde gerne noch einmal zu meiner Schwester.“
Melanie schaute Corinna kurz an, dachte einen Moment darüber nach, ob sie so lange auf sie warten wollte. Denn schließlich hatte Corinna ihr Auto am Café abgestellt und sie fühlte sich nicht gut dabei, die Frau einfach hier stehenzulassen. Doch sie hatte keine Wahl, sie musste zu ihren Töchtern.
„Meine Kinder brauchen mich ...“
Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, trennten sich ihre Wege. Corinna machte sich wieder auf den Weg zur Station G 1, und Melanie steuerte auf den Parkplatz zu.
-40-
Frank hatte wieder eine Verbindung. Diese Verbindung aber war lose, durch viele Abbrüche gekennzeichnet. In den Abschnitten der Stille beschlich ihn das Gefühl, dass sich im hintersten Winkel sein Gast regte, wie eine Zecke, die instinktiv spürt, dass sie nicht unbemerkt geblieben war und deshalb vorsorglich etwas fester zubiss. Der Zahlenfluss, der sonst seine Gedanken durchströmte, blieb jedoch aus.
Dafür aber sah Frank sich wiederholende Bilder. Gerade so, als würde jemand die „Vorspulen-Taste“ eines Videorekorders drücken und am Ende des Films, von vorne beginnen.
Die zwei gleißenden Lichter rasten auf ihn zu, er sah die braunhaarige Frau schreiend hinter dem Steuer des roten Wagens und dann wurde es plötzlich schwarz.
..us.t..ir he..fen
Eine der fremden Stimmen war wieder da. Verzerrt und undeutlich.
Wo bist du?
Stille. Erst nach einer Ewigkeit kam eine Antwort. Wie ein Echo.
..st
du?
Frank dachte nach. Auf diese Wortfetzen konnte er sich keinen Reim machen. Was bedeuteten sie? Zu verzerrt. Zu undeutlich. Frank versuchte sich zu konzentrieren, laut und deutlich zu denken. Vielleicht kam er dann klarer durch. Er wiederholte seine Frage.
WO BIST DU?
Wieder einen Moment der Pause. Dann wurden Worte stoßweise in sein Bewusstsein gepresst. Überraschend deutlich.
Ü
B
E
R
A
L
L
Offenbar hatte die andere Seite auch ihre Methode gefunden, zu ihm durchzudringen.
Gibt es dich?, fragte Frank.
Laut und bestimmt die Antwort:
J
A
Frank zweifelte. Vielleicht war die Stimme doch nur ein Traum, ein Hirngespinst oder verfiel er möglicherweise dem Irrsinn, war ihm schon verfallen? Abwegig war das nicht. Der menschliche Geist schafft sich schließlich seine eigene Unterhaltung, wenn er sich verlassen fühlt. Mit der Kraft der Einbildung, dem Wahnsinn oder beidem. Gab es zwischen dem überhaupt einen Unterschied? Die Antwort darauf war, dass das hier, an diesem Ort, keinerlei Bedeutung hatte.
Wie auch immer also die Wahrheit aussah, ob die andere Seite Einbildung oder real war, er würde reden. Und das so lange, wie dieser phantastische Draht bestand.
Wer bist du? , schickte er in die Dunkelheit.
Eine Antwort kam nicht mehr. Die Zecke war erwacht und biss zu.
12233839454981223383945498122338394549812233839454981223383945498122338394549812233839454981223383945498122338394549812233839454981223383945498122338394549812233839454981223383945498122338394549812233839454981223383945498
Frank schrie auf.
Die Bilder der unbekannten Frau kamen wieder über ihn - wie ein Schwarm Heuschrecken. Aber dieses Mal sah er ein weiteres Detail. Einen Menschen, der in hohem Bogen durch die Luft flog. Als der Bilderregen abgeebbt war, erschien für den Bruchteil einer Sekunde die Fratze eines Mannes. Er trug eine Narbe quer über dem Gesicht.
*
Das EKG meldete einen Puls von fast zweihundert Schlägen und gab Alarm. Eine Minute später stürmte das Krankenhauspersonal in Franks Zimmer, drückte seinen sich aufbäumenden Körper auf die Matratze und sedierte ihn in die Besinnungslosigkeit - zumindest glaubte man das. Sein Bewusstsein ließ sich nicht sedieren – genauso wenig wie die Zecke.
-41-
Wo war sie hier? Im Niemandsland? Im Tod? Welche Straße hatte sie hierhin geführt? Wo hatte sie sich verfahren, welche Abfahrt verpasst?
Plötzlich erregte eine bekannte Stimme ihre Aufmerksamkeit. Wann hatte sie die das letzte Mal gehört? Es konnte eine Ewigkeit her, aber auch erst vor kurzem gewesen sein. Es tut mir so leid , hörte sie die Stimme in ihre Nacht sagen.
Du bist doch ... das habe ich nicht gewollt. Ich wünschte, ich könnte die Vergangenheit ungeschehen machen!
Jetzt erkannte Anna die Stimme!
Das kannst du nicht gut machen! , schrie Anna
Weitere Kostenlose Bücher