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SECHS

SECHS

Titel: SECHS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Gerhardt
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Den Tubus haben wir ihm entfernt, seine Stimmbänder sind also frei.“
    Melanie wunderte sich. Das war eigentlich untypisch für Frank. Aber wer wusste schon, was in einem Menschen vorging, dem Derartiges widerfuhr? Auch sie nicht. Zwar war das Thema Koma nichts Neues für sie, schließlich hatte es auch mal ihre Schwiegermutter getroffen, aber da waren Ursache, Natur und Ausgang nicht vergleichbar. Glücklicherweise, denn sonst wäre Frank jetzt tot.
    „Wenden Sie sich an meinen Kollegen Doktor Reitz. Er wird Ihnen weiterhelfen.“ Melanie nickte.
    „Ich werde mich nun verabschieden.“ Er lächelte Melanie noch einmal aufmunternd zu und wandte sich zum Gehen.
    „Eines noch ...“, sagte Melanie schnell.
    „Wie geht es Ihrer Kollegin? Ich weiß, Sie dürfen mir das ja eigentlich nicht erzählen ...“
    Sein Lächeln erstarrte. Er schaute Melanie ernst in die Augen und schüttelte nur den Kopf. Damit hatte er nichts und doch alles gesagt.
    „Oh ... das ... das tut mir leid.“ Melanie blickte betreten auf den Boden.
    „Frau Brenner. Ihr Mann erwartet Sie.“
    Sie nickte.
    „Ja ... das tut er.“

    *

    Tatsächlich wurde sie nun nicht mehr daran gehindert, zu Frank zu kommen. Nachdem sie an der Stationstür geklingelt, sich über die Gegensprechanlage mit ihrem Namen und ihrem Anliegen vorgestellt hatte, ertönte der Summer. Melanie war noch keine zehn Schritte auf der Station, da sah sie jemanden auf sich zusteuern.
    „Frau Brenner. Ich bin Walter Reitz. Mein Kollege hat Sie bereits angekündigt.“
    Der Name sagte ihr irgendetwas, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern.
    „Brauchen Sie Informationen? Oder hat mein Kollege Sie eingeweiht?“
    Melanie schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht noch einen Vortrag über Franks Zustand hören, sondern einfach nur zu ihm. Jetzt.
    „Ich bin bereits im Bilde. Danke.“
    „Gut. Sie wissen, wo Sie hinmüssen? Lassen Sie sich bitte noch Schutzkleidung geben. Wenn etwas ist, klingeln Sie.“
    Melanie nickte. Ein kurzes Stück noch begleitete sie der Arzt und bog dann in einen Seitengang ab. Im Schwesternzimmer wurden ihr rasch Schutzmaske, Kittel und Handschuhe ausgehändigt. Dann widmete man sich dort schon wieder des Fernsehprogramms.
    Nun war es Zeit für die Begegnung mit dem Mastodon.

    *

    Das Zimmer von Frank war nur schummrig beleuchtet. Sie sah nur seine Silhouette. Ebenso behutsam wie sie eingetreten war, schloss sie die Tür und verharrte einen Moment auf der Stelle. Nach zwei vorsichtigen Schritten flüsterte sie:
    „Frank?“
    Keine Reaktion. Sie versuchte es erneut.
    „Schatz?“
    Dann hörte sie etwas. Ganz leise war da ein Murmeln, kaum wahrnehmbar. Sie lauschte angestrengt. Es klang wie ... Waren das Zahlen? Dann verstummte er.
    „Frank, bist du wach?“, sagte sie nun etwas lauter.
    „Mel?“, kam es schwach zurück.
    Sie lächelte. Seine Stimme ließ die unerträgliche Anspannung endlich in sich zusammenfallen und mit ihr auch das Gespenst von einem knöchernen Ungetüm. Das war ihr Mann! Vollkommen der Ihre!
    „Ja, Schatz, ich bin es“.
    Jetzt kam Bewegung in die Silhouette. Er drehte seinen Kopf langsam herum.
    Als sie ihm endlich in die Augen schauen konnte, weinte sie leise, spülte den ganzen Kummer der vergangenen Stunden heraus.
    Sie stürzte zu ihm, nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und küsste ihn durch die Maske auf die Stirn. Immer und immer wieder.

Veränderungen

-65-

    Mehr als vier Wochen waren seit Franks Erwachen vergangen. Waller hatte nicht zu viel versprochen. Zu seiner eigenen Überraschung noch zu wenig. Frank benötigte schon eine Weile keine intensivmedizinische Betreuung mehr, so dass man ihn auf die Unfallstation verlegt hatte. Er genas weiterhin in einer Geschwindigkeit, bei der jeder sich eigentlich unablässig fragen musste, aus welcher Quelle sein Körper die Energie dafür bezog. Doch das tat niemand. Zu sehr hatte man sich an das Alltägliche dieses Wunders gewöhnt. Und auch deshalb stellten die Ärzte Franks baldige Entlassung in die Rehabilitation in Aussicht, sollte sich der Heilungsprozess weiterhin in dieser Weise entwickeln. Daran bestand kein Zweifel und somit war jede Frage nach seinen Perspektiven von eher rhetorischer Natur.
    Mittlerweile konnte Frank das Bett auch immer öfter verlassen und ein paar Stunden im Rollstuhl drehen. Mal wurde er von Melanie, mal von den Kindern durch die Flure geschoben, und wenn die Sonne sich zeigte, auch nach draußen. Jede freie Minute verbrachten sie bei

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