SECHS
ihm.
Trotz aller Rekonvaleszenz gab es da einen Schatten. Den spürte allerdings nur, wer Frank kannte, so unsichtbar war er. Frank war stiller geworden, erzählte Melanie nicht mehr, was in ihm vorging. Sie schrieb das den Umständen zu, nahm überdies an, er wolle sie einfach nicht belasten. Ihr Glück und ihre Dankbarkeit trüben konnte das allerdings nicht. Denn schließlich, so sagte sie sich immer wieder, war das ja nur ein Zustand, der auch wieder verging - irgendwann, wenn sie sich nur genug bemühte.
Annas Genesung verlief in anderen Bahnen. Was Frank an Energie hatte, das fehlte ihr zur Selbstheilung. Langsamer als erhofft ging es aufwärts. Deswegen auch hielt man sie weiterhin in einem künstlichen Schlaf.
Raith und Reimar tappten immer noch im Dunklen. Das Ergebnis der am Tatort gefundenen DNA-Spuren hatte man zwar durch sämtliche Datenbanken laufenlassen, war im Ergebnis aber nur in einer Sackgasse geendet. Klar war soweit nur, dass beide Fälle, der von Zwetkow und Zanner, zusammenhingen und der Täter ein und derselbe war.
Sirkowsky war wieder vollständig gesund. Trotzdem fügte er sich der Anweisung von Rentsch, vorerst still und bedeckt in der Datscha abzuwarten. Er produzierte keine neuen Spuren. Und damit das so blieb, hütete sich Rentsch für seinen Teil auch, die Operation WODKA - die Beseitigung seiner Frau - jetzt schon anlaufen zu lassen. Eingeweiht hatte er Sirkowsky bereits, aber eben noch nicht von der Leine gelassen.
-66-
Gegen Abend des siebten Februar verabschiedete sich Melanie von der Geburtstagsfeier einer ehemaligen Klassenkameradin. Verfrüht. Jetzt, da Frank verlegt worden war, galten andere Besuchszeiten und es war zwischen den Dingen des Alltags nicht mehr so leicht, sich ausreichend Zeit zu nehmen. Aber ein Tag ohne einen Besuch war kein Tag. Und so wurde auch die allerkleinste Lücke im Tagesablauf genutzt und falls nötig, eben eine geschaffen. Auch heute.
Als Melanie in Franks Zimmer eintrat, fand sie sein Bett leer. Melanie überlegte fieberhaft, wo Frank stecken konnte. So spät gab es keine Untersuchungen mehr. Einen Moment erfasste sie ihre alte Furcht, aber nachdem sie ein paarmal tief durchgeatmet hatte, fing sie sich wieder. Wahrscheinlich hatte er sich nur herausfahren lassen, saß an der großen Fensterfront zum Garten hin, und hielt Ausschau nach dem nicht mehr allzu fernen Frühling. Sie machte sich auf den Weg dorthin.
Dort fand sie ihn wider Erwarten nicht und im Garten drehte kein einziger Rollstuhlfahrer seine Runden.
Auch im Schwesternzimmer wusste niemand, wo Frank abgeblieben sein könnte. Und egal, wen Melanie auf ihrem Weg noch traf und fragte, jeder hatte nur ein Schulterzucken zur Antwort. Nun wurde sie nervös.
Sie suchte im Fernsehraum, warf einen Blick in die Küche der Angestellten und rief sogar in die Herrentoilette hinein. Nichts.
Welche Möglichkeiten gab es noch? War Frank vielleicht in einem falschen Zimmer, in einem falschen Bett gelandet? Das aber war wirklich nur schwer vorstellbar. Hatte er sich irgendwo eingesperrt? Immer schneller wurden ihre Schritte, immer wilder ihre Vermutungen.
Kurz bevor sie Panik bekam, klingelte ihr Handy. Das Display zeigte die eigene Festnetznummer. Die Kinder waren bei Helena untergebracht und darum hatte sie eine Rufweiterschaltung auf das Handy eingerichtet.
„Brenner?“, meldete sie sich gehetzt.
„Hallo?“, kam es leise von der anderen Seite. Melanie kannte diese Stimme.
„Hier ist Corinna Liebermann.“
Was wollte die jetzt? Das war der falsche Zeitpunkt! Sie war Corinna noch einige Male zufällig begegnet, aber seitdem Frank verlegt worden war, niemals wieder.
„Frau Liebermann, es ist jetzt gerade ganz schlecht“, versuchte Melanie sie abzuwimmeln. Doch Corinna ließ sich nicht beirren.
„Wir haben hier ein Problem“, flüsterte Corinna.
„Das habe ich auch. Ich suche meinen Mann. Deswegen muss ich jetzt ...“
„Das ist es ja gerade“, unterbrach Corinna, „er ist hier. Bei meiner Schwester! Es ist ziemlich ... können Sie bitte kommen? Sofort?“
Melanie verstand die Welt nicht mehr. Wie zum Teufel kam Frank dahin und was suchte er überhaupt bei der Schwester von Frau Liebermann?
„Ihre Schwester ist noch auf der Intensiv?“
„Ja. Bitte beeilen Sie sich.“
Und das tat Melanie.
Vor der Tür zur Station wurde sie bereits von Corinna erwartet.
„Hallo“, begrüßte sie Corinna knapp, „tut mir leid, wenn ich sie erschreckt habe!“
„Was ist denn los?
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