SECHS
herausfinden: Durch die Hand von Sirkowsky sollte er nicht sterben.
-83-
Melanie hatte einen düsteren Traum. Sie sah sich, mit den Kindern Hand in Hand einen ekstatischen Reigen tanzen. In ihrer Mitte stand Frank. Sie alle lachten unbekümmert. Nur er nicht. Immer dann, wenn Melanie an ihrem Mann vorbeiwirbelte, winkte er hektisch und deutete verzweifelt auf sie. Doch sie verstand nicht.
Und so ging das immer und immer wieder. Irgendwann begriff sie, dass er gar nicht sie meinte, sondern etwas hinter ihrem Rücken. Aber was? Denn sobald sie an Frank vorbeigezogen war, frei in die Richtung sehen konnte in die er zeigte, war da nichts als Dunkelheit.
Doch dann, unzählige Umrundungen später und erneut vor ihm angekommen, blickte sie jetzt über ihre Schulter. Und da sah sie es. Im Schatten, am Rande der Tanzfläche, hielt sich ein weiterer Tänzer verborgen. Seine Augen glühten wild und sie spürte sein böses Wesen. Er machte sich bereit, mitzutanzen. Das durfte sie auf keinen Fall zulassen. Melanie drückte die Hände ihrer Kinder so fest sie nur konnte. Würde sie loslassen, würde eines der Kinder loslassen, waren sie alle verloren. Der Kreis musste unter allen Umständen geschlossen bleiben. In dem Moment als Sofie ins Straucheln geriet wachte Melanie schweißgebadet auf.
Die Vorahnung, dass etwas passieren würde, hallte noch lange in ihr nach. Irgendwann aber, während sie in der Dunkelheit des Schlafzimmers gegen die Decke starrte, verblasste der Traum und machte Platz für einen anderen Reigen. Dem Tanz ihrer Gedanken.
Mal schwenkten sie nach links, da lag das Wort „Trennung“, und mal nach rechts, wo „Zweifel“ seinen Platz hatte. In der Mitte lag die Wut.
Als der Wecker dann um sechs Uhr klingelte, hatte sie eineinhalb Stunden dieses Tanzes hinter sich. Eine Antwort darauf, wie es mit Frank und ihr jetzt noch weitergehen konnte, hatte sie nicht gefunden - vielleicht auch nicht finden wollen. Denn allzu oft hatte es sie nach links geführt und das machte ihr Angst.
Ausgelaugt, mut- und hoffnungslos stand sie auf um die Kinder zu wecken.
Heimkehr
-84-
Yasmin und Swantje teilten sich nun den Kellerschrank. Rentsch hatte die Leichen Auge in Auge, Brust an Brust in Folie gewickelt und in den dunklen Stahlsarg gestopft. Im Inneren des Schranks war gerade genug Platz für beide. Seine Frau stand noch ganz am Anfang ihrer Verwandlung, bevor sie würde, was Yasmin bereits war: ein in Verwesung befindliches Stück Fleisch. Und so kompensierte die eingefallene Yasmin, was die dicke und noch gut erhaltene Swantje ihr an Platz nahm.
Als Rentsch kurz nach sechs Uhr endlich alles erledigt hatte, war er noch schnell unter die Dusche gesprungen, um sich den Tod vom Leib zu schrubben.
Den ganzen Weg ins Krankenhaus hatte er dann damit zugebracht, wie ein gehetztes Reh in den Rückspiegel zu schauen, nach einem Anzeichen dafür zu suchen, dass Sirkowsky hinter ihm war. Doch außer der Dunkelheit des Wintermorgens, Scheinwerfern, die auftauchten und wieder verschwanden, war da nichts.
Kurz vor sieben betrat er das Krankenhaus und wenige Minuten darauf, stand er vor Franks Zimmertür. Er atmete tief durch. In dem Moment, als Rentsch die Hand auf die Türklinke legte, flackerte die Flurbeleuchtung. Hinter der Tür öffnete Frank die Augen. Das Gleiche passierte auch ein Stockwerk höher. Annas Augenlider begannen zu flattern und öffneten sich in dem Moment, als Rentsch eintrat.
Der Mann, der ihm Geld schuldig war, saß im schwachen Schein der Nachttischlampe auf der Bettkante, baumelte mit den Beinen und lächelte ihn an, ganz so, als ob er ihn schon erwartet hatte. Rentsch hörte ein Quietschgeräusch im Halbdunkel des Zimmers. Es klang wie eine alte, rostige Schaukel.
„Herr Brenner? Ich bin...“
„Ich weiß“, flüsterte Frank. Rentsch blieb wie angewurzelt stehen. Es waren nicht die Worte, die ihn stutzen ließen, sondern der Ton seiner Stimme, die Art wie dieser Mann ihn ansah. All das kam ihm seltsam bekannt vor.
„Ich ... ich wüsste nicht ...?“
Keine Antwort. Nur das Quietschen. Das war alles.
„Na gut. Kommen wir zur Sache, was?“, sagte Rentsch schnell und tat ein paar weitere unsichere Schritte auf das Bett zu.
„Herr Brenner, ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen. Lukrativ für uns beide.“
Frank grinste höhnisch. Rentsch ließ sich kein zweites Mal beirren. Dachte er zumindest. Er zog den Stuhl heran, setzte sich und fuhr fort:
„Wissen Sie, das Leben ist heutzutage
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