Sechseckwelt 01 - Die Sechseck-Welt
wie ich vorher nie ein Zentaur war und du nie eine Antilope gewesen bist. Ich weiß, was es heißt, eine Frau zu sein – und es gefällt mir nicht besonders. Außerdem ist das nur ein Spiel.«
»Ja. Möchtest du lieber ein Zentaur sein, als das, was du jetzt bist? Das kannst du, weißt du – du brauchst durch das hiesige Portal nur zu Zone zu gehen und von dort nach Dillia.«
»Ich – ich bin mir nicht sicher. Gewiß, es war schön dort, und ich habe mich wohlgefühlt, aber ich gehörte nicht dazu. Jol war sehr nett, aber ich fühlte mich zu Dal hingezogen, und das geht in Dillia nicht.«
»Das hast du gemeint, als du vor langer Zeit sagtest, man solle sich lieben, ohne Rücksicht darauf, wie man aussieht? Aber was ist mit mir? Wenn ich mich nun in etwas wirklich Monströses verwandeln würde, so fremdartig, daß es keine Beziehung zu dem hätte, was du kennst?«
Sie lachte.
»Du meinst, wie die Fledermaus oder vielleicht eine Meerjungfrau?«
»Nein, das sind vertraute Formen. Ich meine eine echte Monstrosität.«
»Solange du innerlich gleich bleibst, würde sich nichts ändern«, antwortete sie ernsthaft. »Warum redest du eigentlich so? Rechnest du mit einer solchen Verwandlung?«
»Auf dieser Welt ist alles möglich«, erinnerte er sie. »Wir haben nur einen Bruchteil von dem gesehen, was geschehen kann. Du hast nur sechs Hexagons gesehen, sechs von fünfzehnhundertsechzig . Es gibt viel seltsamere Dinge. Wir werden bald den neuen Datham Hain treffen«, sagte er grimmig. »Er ist ein weibliches Rieseninsekt – wahrlich ein Ungeheuer.«
»Jetzt paßt das Äußere zum Inneren«, zischte sie. »Monster sind nichts Rassisches, sondern sie haben mit dem Geist zu tun. Er ist sein ganzes Leben ein Monstrum gewesen.«
Er nickte.
»Hör zu, vertrau mir. Hain wird bekommen, was er verdient – wie alle. Im Schacht werden wir alle sein, was wir gewesen sind, und dann kommt die Abrechnung.«
»Sogar du?« fragte sie. »Oder bleibst du eine Antilope?«
»Nein, keine Antilope«, sagte er geheimnisvoll, dann wechselte er das Thema. »Nun, vielleicht ist es besser, wenn es vorbeigeht. In zwei Tagen ist es soweit.«
Nach einer langen Pause sagte sie: »Nathan, hast du deshalb so lange gelebt? Bist du ein Markovier? Varnett glaubt es.«
Er seufzte.
»Nein, kein Markovier – nicht direkt. Aber sie sollen es ruhig glauben. Ich brauche das vielleicht, um zu verhindern, daß alles zu früh auseinanderfliegt.«
Sie sah ihn betäubt an.
»Du meinst, du hast die ganze Zeit Andeutungen fallen lassen, daß du einer der Erbauer dieser Welt bist, und es war alles nur Bluff !«
Er schüttelte langsam den Kopf.
»Kein Bluff, nein. Aber ich bin sehr alt, Wuju – älter, als sich irgend jemand das vorstellen kann. So alt, daß ich mit meinen eigenen Erinnerungen nicht leben konnte. Deshalb blockierte ich sie und war, bis ich auf dieser Welt ankam, auf herrliche Weise ahnungslos. Der Schock der Verwandlung in Murithel brachte alles zurück, aber es ist so vieles ! Man kann einfach nicht alles erfassen. Doch diese Erinnerungen verschaffen mir einen Vorteil – ich weiß Dinge, von denen ihr keine Ahnung habt. Ich bin nicht unbedingt schlauer oder weiser als ihr, aber ich besitze die ganze Erfahrung von Tausenden Lebensspannen. Das hilft mir.«
»Aber sie glauben alle, daß du den Schacht für sie in Betrieb nimmst«, meinte sie. »Alles, was du gesagt hast, zeigt, daß du dich auskennst.«
»Das war der Grund, warum Serge uns am Leben gelassen hat«, erklärte er. »Deshalb sind wir unterstützt und weitergetrieben worden. Ich bin überzeugt, daß mein kleiner Sprechapparat eine zusätzliche Schaltung hat, damit Serge mithören kann. Es stört mich nicht mehr. Deshalb konnte er uns helfen, deshalb wußte er, wo wir waren und was mit uns geschah. Deshalb werden wir mit ihm zusammentreffen; so ist das alles vorbereitet worden. Für den Fall, daß er mich nicht verwenden kann, benutzt er Skander oder Varnett – denkt er.« Er sah sie an. »Und du bist eine Geisel, Wuju. Damit hat er mich in der Hand.«
»Wenn es nun wirklich darauf ankäme? Würdest du wegen mir tun, was er verlangt?«
»Dazu wird es nicht kommen, glaub' mir. Varnett kennt sich auch aus, nur hat er es in seiner jugendlichen Erregung wieder vergessen.«
»Was wirst du dann tun?«
»Ich führe sie alle hin, ich werde ihnen zeigen, was sie sehen wollen, aber sie werden entdecken, daß diese Schatzsuche von Dornen strotzt, wenn sie erfahren, wie der Preis
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