Sechseckwelt 01 - Die Sechseck-Welt
in eben diesem Augenblick Wu Julee eine Dosis verabreichte.
Die Konföderation half einem nicht. Sie behielt eine Schwammkolonie auf der gesperrten Welt für die Betroffenen bei, wo man ein normales, wenn auch sehr primitives Dasein führen und jede Nacht ein Schwammbad nehmen konnte. Das heißt, wenn man das Opfer noch hinzuschaffen vermochte, bevor die Krankheit zu weit fortgeschritten war und es sich nicht mehr lohnte.
Die Schwamm-Händler suchten sich nur die Reichsten und Mächtigsten aus – oder ihre Kinder, wenn ihre Welt Familien kannte. Für den täglichen Schwammbedarf wurde nichts verlangt, o nein. Man tat nur, was sie verlangten, wenn sie etwas verlangten.
Es herrschte sogar der Verdacht, so viele Machthaber der Konföderation seien dem Stoff verfallen, daß das der Grund sei, weshalb man nie ernsthaft nach einem Gegen- oder Heilmittel gesucht hatte.
Denn Macht war das überragende Ziel der Schwamm-Händler.
Nathan Brazil fragte sich, wer Wu Julee war. Die Tochter eines hohen Machthabers oder Bankiers oder Industriellen? Vielleicht das Kind des Exekutivleiters der Konföderation? Sie war wohl eher eine Versuchsperson, dachte er. Es lohnte nicht, sich bloßzustellen.
Sie war zweifellos Hains absolute Sklavin. Die Krankheit hatte in ihr bis kurz vor dem Punkt Fuß fassen dürfen, wo sie unkontrollierbar wurde. Menschlich, ja, aber wahrscheinlich der Intelligenzquotient schon halbiert, ständig von leichten Schmerzen geplagt, die zunahmen, sobald die Wirkung des Schwamm-Antitoxins nachließ. Eine wirksame Demonstration, die es dem Händler ersparte, eine unschuldige Person zu infizieren und den Dingen freien Lauf zu lassen. Das geschah im Bedarfsfall natürlich auch – aber es war nicht gut, einen langen Zeitraum entstehen zu lassen, in dem den Agenten der Konföderation offenbar wurde, daß ein Schwamm-Händler frei herumlief.
Brazil fragte sich beiläufig, warum das Mädchen nicht Selbstmord beging. Er glaubte, daß er das in einem solchen Fall getan hätte. Ein Opfer ist aber wahrscheinlich schon zu hilflos, um daran zu denken, bis es begreift, daß Selbstmord der einzige Ausweg ist, entschied er.
Brazil blickte wieder auf den Bildschirm. Hain hatte den Koffer wieder verschlossen und weggestellt und legte sich schlafen. Raffiniert, der Koffer, dachte der Kapitän. Schwamm ist außerordentlich stark komprimierbar und braucht nur so viel Meerwasser, daß er feucht bleibt. Er wuchs sogar in dem Koffer, dachte er. Wenn man Stücke verteilte, wuchsen neue nach. Das war der Grund, warum ein Opfer stets nur die Mindestmenge erhielt – wenn man genug davon in die Hand bekam, konnte man ihn selbst züchten.
Wu Julee lag auf ihrem Bett, ein Bein hing herab. Sie atmete schwer, aber auf ihrem Gesicht war eine Art Idiotenlächeln zu sehen.
Linderung für einen weiteren Tag, der kleine Schwammwürfel geschluckt, während der Körper das Beweismaterial aufspaltete.
Nun drehte sich Brazil doch der Magen um.
Was warst du, Wu Julee, bevor Datham Hain ein Essen servierte? fragte er sich. Studentin oder Gelehrte oder Spezialistin wie Vardia? Eine verwöhnte Göre? Eine Jungfrau, die vielleicht eines Tages Kinder zur Welt zu bringen hoffte?
Alles fort, dachte er düster. Die Aufzeichnungen würden Hain eindeutig überführen – und das Syndikat der Schwamm-Händler würde ihn auch opfern. Im höchsten Fall hatte er von Zwangsselbstmördern gehört, wenn sie Psychosonden oder dergleichen über sich ergehen lassen mußten. Sie würden von ihm nichts bekommen als sein Leben.
Aber Wu Julee – ohne Schwamm brauchte sie, von ihrem Zielpunkt aus gerechnet, bei Höchstgeschwindigkeit achtzehn Tage, um die verdammte Planetenkolonie zu erreichen, und sie befand sich bereits vor oder am Stadium unkontrollierbarer Ausbreitung der Krankheit.
Sie würde als hirnlos vegetierendes Wesen ankommen, unfähig zu allem, was nicht vom autonomen Nervensystem gesteuert wurde, nachdem sie den Großteil der Reise als Tier zugebracht hatte. Ein, zwei Tage danach würde ihr Nervensystem zerfressen werden, und sie mußte sterben.
Man würde sich also nicht die Mühe machen, sondern sie einfach zur nächsten Todesfabrik schicken, um von ihr wenigstens noch etwas zu haben.
Man sagte, Nathan Brazil sei ein harter Mann: erfahren, tüchtig und kalt wie Eis, jeder Gedanke nur für sich selbst.
Aber Nathan Brazil weinte im Dunkeln allein auf der Brücke seines Schiffes.
Weder Hain noch Wu Julee kamen noch einmal zum Essen, obwohl er den
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