Sechseckwelt 01 - Die Sechseck-Welt
kam langsam auf sie zu.
»O Mann!« sagte er nur. »Ich kann Sie gut verstehen.«
Das Wesen entdeckte sie und hob die Rüssel zum Gruß. Sie schienen aus derselben Stelle zwischen und knapp unter den Augen hervorzuwachsen.
»Ah, hallo!« brüllte es in Dillianisch mit einer Stimme, die wie ein beleidigtes Nebelhorn klang. »Besseres Wetter hier herüben, wie?«
»Kann man wohl sagen«, erwiderte Brazil. »Wir haben im Sturm das Rasthaus verfehlt und die Nacht drüben auf dem Feld verbracht.«
»Unterwegs in unser schönes Land?« fragte der Slongornier freundlich. »Gute Jahreszeit dafür. Hier ist immer Sommer.«
»Nur auf der Durchreise«, sagte Brazil. »Wir sind auf dem Weg nach Czill.«
Das freundliche Wesen runzelte die Stirn und wirkte dadurch noch komischer.
»Üble Geschichte, das. Habe gestern abend davon gelesen.«
»Eines der Opfer – die Czillanerin – war eine Freundin von mir. Von uns«, verbesserte Brazil rasch, und Wu Julee lächelte.
»Warum gehen Sie nicht ins Rasthaus, frühstücken und versuchen, sich mitnehmen zu lassen?« sagte das Wesen. »Die Laster hier fahren alle leer zurück, und Sie können sich den weiten Fußmarsch sparen.«
»Danke, das versuchen wir!« rief Brazil dem Slongornier nach, als dieser in den Lastwagen mit Dach stieg und zurückstieß, einen Rüssel an jedem Hebel. Der Lastwagen surrte nur leise und fegte mit beachtlicher Geschwindigkeit davon.
»Ich wette, der fährt fünfzig«, sagte Brazil zu Wu Julee, als das Fahrzeug verschwand. »Vielleicht kommen wir doch schneller und leichter voran, als ich dachte.«
Sie gingen zur Grenze, auf das schneebedeckte Rasthaus zu. Die Kälte erfaßte sie sofort. Sie begannen zu laufen, und Wu Julee war eine Minute vor ihm im Inneren.
Fünf Slongornier standen an einer Theke und stopften mit den Rüsseln etwas in sich hinein, das Heu zu sein schien. Einer leerte einen Topf voll warmer Flüssigkeit und spritzte sich das Ganze in den Mund. Die Wirtin war eine ältere Dillianerin. Zwei junge männliche Zentauren sortierten in einem Winkel Pakete, offenbar die von den Slongorniern gelieferte Ware.
Und da war noch ein Wesen.
Eine riesige, mannsgroße Fledermaus, dachte Brazil, und so sah es auch aus. Es war ein wenig größer als er, mit Rattenkopf und -körper, blutroten Augen und scharfen Zähnen, die an einem großen Bries kauten. Die Arme waren ein wenig ausgestreckt und gingen in die lederartigen Flügel über. Es besaß aber lange, humanoide Beine mit normalen Knien, die bedeckt waren mit groben, schwarzen Haaren wie bei einem Gorilla und in zwei Füße ausliefen, die eher großen Menschenhänden glichen. Das Wesen hatte offenbar zwei oder drei Gelenke in den Beinen, da es ohne sichtbare Mühe auf einem stand, während es mit dem anderen das Bries hielt und an den Mund führte.
Das Wesen schien sie nicht zu beachten, und auch sonst kümmerte sich im Rasthaus niemand um sie. Sie wandten sich ab und bestellten Frühstück, einen dicken Brei in einer großen Schüssel, in dem Holzlöffel steckten. Wu Julee bestellte nur Wasser dazu, während sich Nathan das teeartige Getränk geben ließ. Es schmeckte unglaublich stark und bitter und hatte einen seltsamen Nachgeschmack, aber von seinem Aufenthalt in Dillia wußte er, daß es ihn anregte.
Sie kamen bald in ein Gespräch mit einem der Fahrer aus Slongorn, der sich bereit erklärte, sie die neunzehn Kilometer bis zur nächsten Stadt mitzunehmen, wo er zu Hause war.
»Na, Wu Julee, heute keine Bewegung und keine Schmerzen«, sagte Nathan strahlend.
»Sehr gut«, meinte sie lobend. »Aber nennen Sie mich nicht mehr bei diesem Namen, Nathan. Sagen Sie Wuju zu mir. Das paßt besser zu mir. Jol hat mich so genannt.«
»Also gut«, sagte er lachend. »Wuju.«
»Es gefällt mir, wie Sie das sagen«, meinte sie leise.
»Entschuldigen Sie«, sagte eine scharfe, nasale, aber kristallklare Stimme hinter ihnen, »ich habe unwillkürlich von Ihren Reiseplänen gehört und wollte fragen, ob ich mitkommen kann. Ich muß eine Weile in dieselbe Richtung.«
Sie drehten sich beide um, und wie Brazil erwartet hatte, war es die Fledermaus.
»Hm, ich weiß nicht…«, erwiderte er und warf einen Blick auf den Fahrer, der aber keinerlei Einwände zu haben schien. »Ihm scheint es recht zu sein, und wir haben auch nichts dagegen, äh – wie ist Ihr Name? Die unsrigen haben Sie schon gehört.«
Die Fledermaus lachte.
»Mein Name ist unmöglich. Der Dolmetscher kommt nicht damit zurecht,
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