Sechseckwelt 05 - Dämmerung auf der Sechseck-Welt
fiel nicht ins Gewicht. Die Stadt hatte sich offenbar eine Verwaltung zugelegt, vor allem, um mit den Touristen fertig zu werden, und das hier war das Rathaus. Ein sehr kleines Rathaus; wenn alle vier Beamten, der Bürgermeister, der Kämmerer, der Schreiber und der Polizist beschlossen hätten, gleichzeitig anwesend zu sein, wäre nicht einmal mehr Platz für Möbel gewesen. Aber das komme nie vor, versicherte ihr die Schreiberin.
Alles verändere sich, aber nicht so gewaltig. Die drei anderen seien auf dem See und fischten.
Die Schreiberin, eine sachliche Frau mit Hakennase und grauweiß gefleckter Körperbehaarung, erwies sich als nett.
»Ich heiße Hovna«, erklärte sie Mavra. »Als wir erfuhren, daß aus Ihrer Gegend des Weltraumes viele Neuzugänge kommen, rechneten wir damit, daß mindestens einer von Ihnen hier auftauchen wird.«
Mavras Brauen stiegen vor Überraschung hoch.
»Oh?«
Die Schreiberin nickte.
»In unserer Geschichte sind viermal Leute aus Ihrer Gegend gekommen, und jedesmal war mindestens einer von euch hier. Muß eine Art Wahlverwandtschaft sein.«
Das interessierte Mavra.
»Sind jetzt noch andere hier?«
»O nein«, erwiderte die Frau lachend. »Das letztemal vor Hunderten von Jahren, lange vor unserer Zeit. Ich glaube, Sie sind überhaupt der erste Neuzugang in meinen Akten, egal, woher.«
Das wird sich bald ändern, dachte Mavra mürrisch. Sie würde die Behörden alarmieren müssen, damit für die Neuankömmlinge zeitweilige Unterkünfte bereitgestellt werden konnten, die dieses schöne und friedliche Land nicht auf den Kopf stellten. Zunächst sagte sie jedoch nur: »Ich freue mich jedenfalls, hier zu sein. Mein Großvater war einmal einer von Ihnen, ganz früher.«
Die Schreiberin zog die Brauen zusammen.
»Großvater? Ich erinnere mich nicht… Wie sollte denn das überhaupt möglich sein? Wenn man einmal hier ist, ist man hier .«
»Nicht, wenn man durch den Schacht der Seelen hinausgeht«, gab Mavra zurück.
Die Schreiberin war offenkundig verwirrt und sagte nur achselzuckend: »Vor meiner Zeit.«
Mavra ging der Sache nicht weiter nach.
»Vorerst brauche ich nur ein paar Tage Zeit, um mich zurechtzufinden. Ich fürchte, ich bin nicht einer Ihrer typischen Neuzugänge – ich habe Dinge zu tun, deshalb bin ich hergeschickt worden.«
»Dinge zu tun?« sagte die Schreiberin verwirrt und warf ihr einen Seitenblick zu, der verriet, daß sie die Neue für geistig aus dem Gleichgewicht geraten hielt. Immerhin gab es für solche Fälle ein amtliches Register, das sie zur Bürgerin erklärte und ihr bestimmte Rechte verlieh, die nicht viel zu bedeuten hatten – aber man regierte hier sehr zurückhaltend. Man nahm lediglich ihren Vornamen auf; die Dillianer verwendeten nur einen Namen und sahen die Notwendigkeit von zweien kaum ein. Zum Glück bestand ihr Name, Mavra, aus Silben, die in der Sprache Dillias gebräuchlich waren und keine Änderung erforderten.
»Oben am See gibt es ein Gästehaus«, erklärte die Schreiberin und kritzelte etwas auf einen amtlichen Briefbogen. »Nehmen Sie das mit, dann bekommen Sie ein Zimmer, bis Sie sich einrichten können. Es ist noch früh in der Saison, also gibt es noch Räume. Sie können dort auch essen, wenn Sie wollen.« Sie schrieb eine zweite Mitteilung. »Und das bringen Sie zum Schmied am Ende der Straße. Hier brauchen Sie Schuhe. Im übrigen ist es Ihre Sache, hier Ihren Platz zu finden. Gibt viel zu tun, wenn es einem hier gefällt und wenn man zivilisiertere Arbeit auf geteerten Straßen haben will, kann man seeab gehen.« Das sagte sie eher verächtlich. Es gab Stadtleute und Landleute, und sie unternahm keinen Versuch, zu verbergen, zu welchen sie gehörte.
Mavra warf einen Blick auf die beiden Briefe.
»Ich bin überzeugt, daß das wunderbar ist«, versicherte sie der Schreiberin. »Ähm… ich kann sie nicht lesen, wissen Sie. Wie soll ich sie unterscheiden?«
Die Schreiberin sah sie reumütig an und malte auf einen der Bogen ein kleines umgedrehtes Hufeisen. Mavra nickte, dankte ihr und ging.
Sie hatte Hunger, beschloß aber, sich in der Stadt umzusehen, bevor sie zum Gästehaus ging. Schuhe… Seltsam, daran hatte sie nicht gedacht. Die Rhone, die Zentauren ihrer früheren Weltraumheimat, hatten hochmodernen Schutz entwickelt, der sie überflüssig machte – aber hier mochten Schuhe eine gute Idee sein. Sie machte sich auf den Weg zum Schmied.
Es war fast so, als hätte man sich ein Bein gebrochen und gehe zum
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