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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Frauenstimme im Hintergrund. Sie verabredeten sich für einen Lunch am nächsten Tag im Vorderen Sternen.
    Gregor Allenspach war ein kleiner, rundlicher Mann mit intelligenten braunen Augen. Sein Vollbart war ein Überbleibsel aus den späten sechziger Jahren, ebenso die Kleider, die er trug. Er saß bereits am Tisch, vor sich eine Flasche Mineralwasser, als Eschenbach eintraf.
    Die Freunde entschieden sich für Menü 1 , mit dem Hauptgang Saltimbocca, wobei Eschenbach zugunsten von Tomatenspaghetti auf das Gemüse verzichtete. Damit es nicht zu trocken würde, der übliche Spruch von Gregor, bestellten sie einen halben Liter Veltliner, oder doch lieber gleich eine ganze Flasche. Der Kellner, der sie schon kannte, lächelte freundlich.
    Der Kommissar hatte einen Tisch im hinteren Teil des Restaurants reserviert, in einer Ecke. Sie konnten sich ungestört unterhalten.
    »Wann spielen wir denn endlich mal wieder Karten? Seit Corina ausgezogen ist, hast du dich ja regelrecht verkrochen.«
    Eschenbach nickte. »Wenn der Gips runter ist, dann kann’s wieder losgehen. So halte ich das nämlich nicht aus. Stundenlang am Wirtshaustisch bei Gabriel.«
    »Im Augenblick hast du ja auch andere Sorgen. Sag mal, was ist denn da los bei euch? Ich habe selten so dünne Zeitungsberichte gelesen. Habt ihr nun einen Fall oder ein Problem? Von wegen FIFA , die Tote hat ja dort gearbeitet. Ist ein Riesenbunker, den die dort oben auf den Berg gestellt haben.«
    »Ich bin draußen«, sagte Eschenbach. »Suspendiert. Das hast du sicher auch gelesen.«
    »Aber das lässt du dir doch nicht gefallen, oder?«
    »Und krankgeschrieben, das auch. Egal. Es geht jetzt um diesen Jungen. Da gibt es einen Haufen Ungereimtheiten.«
    »Welcher Junge? Davon hat nichts in der Zeitung gestanden.«
    »Das ist es ja.«
    Sie probierten den Wein, prosteten sich zu: »Auf bessere Zeiten«, sagte Gregor.
    Eschenbach erzählte seine Version, wie er zur Unfallstelle gekommen war und wie alles seinen Lauf genommen hatte. »Verstehst du? Der Kleine ist direkt danebengestanden. Ich bin überzeugt, der könnte uns sagen, was da genau gelaufen ist.«
    »Und der hat dieses Zeugs geredet, das du mir gestern vorgelesen hast?«
    »Zuerst war er still wie ein Grab. Hat kein Wort gesagt. Und dann, als er endlich zu sprechen anfing … also ich hab mir das meiste notiert.«
    »Zeig her.« Gregor nahm Eschenbachs Notizbuch und sah sich die Sätze an. »Interessant«, meinte der Lehrer und fuhr sich mit Zeigefinger und Daumen über den Bart. »Nicht alles, was wirsprechen, ist – linguistisch gesehen – eine Sprache. Deutsch, Französisch, Englisch … auch Jiddisch oder Hebräisch zum Beispiel gelten als vollwertige Sprachen. Der Grund dafür ist, dass sie bestimmte, wissenschaftlich definierte Kriterien erfüllen: So haben sie eine eigene Grammatik, einen wohldefinierten Satzbau, verfügen über eine verbindliche Sprachnormierung und eine Schriftlichkeit.«
    »Nimm’s mir nicht übel, aber ich brauch eine Übersetzung, Gregor. Keine theoretische Abhandlung. Ich muss wissen, was der Junge gesagt hat.«
    Das Essen wurde aufgetischt.
    »Es könnte auch ein Dialekt sein«, erwog Gregor zwischen zwei Bissen. »Ich hab ein etymologisches Wörterbuch mitgebracht und ein Büchlein zum Thema Rotwelsch.«
    »Und Jenisch?«, fragte Eschenbach. »Der Bub war bei den Fahrenden in Seebach … hat dort Pflegeeltern, die sprechen das.«
    »Zum Jenischen hab ich auf die Schnelle nichts gefunden …« Gregor kramte aus seinem Rucksack die Bücher, legte sie auf den Tisch und blätterte darin. Gleichzeitig aß er und sah zwischendurch auf Eschenbachs Notizen. »Das lau zum Beispiel. Es geht auf das jiddisch-hebräische lo lánu zurück und bedeutet so viel wie nicht uns! Lau, oder eben lo, hieße dann nein, nicht oder nichts . Es kann aber auch böse heißen, oder falsch . Eine Bezeichnung für alles Negative eben. Interessanterweise hat das englische law – mit der Wortbedeutung Recht  – denselben Ursprung.«
    Eschenbachs Hoffnungen schwanden.
    » Schuflig könnte schoflig heißen. Und schofel  … Hier haben wir’s.« Gregor war jetzt in Fahrt. Er hatte seinen Teller leer gegessen und kramte im Sakko nach seiner Pfeife, einer englischen Bent. Mit dem Zeigefinger drückte er den Rest des angerauchten Tabaks fest und zündete sie an. »Auch hier hilft ein wenig Hebräisch weiter. Schafél bedeutet so viel wie schlecht, bös oder gemein .«
    »So kommen wir nicht weiter.«

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