Sechselauten
gespielt, sich in der Toilette den Finger in den Hals zu stecken und der Sache ein Ende zu bereiten. Aber es war dort einfach zu eng.
»Geht’s Ihnen nicht gut?«, fragte Randolph besorgt, als er sie am Flughafen in Empfang nahm. »Sie müssen jetzt zur Ruhe kommen, Lara. Im Bentley steht eine gekühlte Flasche Wasser bereit. Geben Sie mir Ihr Gepäck.«
Im Fond des Wagens öffnete Lara das Seitenfenster. Sie schluckte: »Vielleicht müssen wir unterwegs anhalten.«
Vier Meilen fuhren sie entlang der M 4 in Richtung Central London/Hammersmith. Schon kurz nach Heston, auf der Höhe des Oesterly Parks rief Lara »Stopp«. Randolph schüttelte den Kopf und fuhr von der Fahrbahn auf den Pannenstreifen, und noch bevor der Wagen ganz zum Stillstand kam, sprang Lara hinaus und übergab sich zwischen Birkensträuchern.
Als das Schlimmste vorüber war, atmete sie tief durch und blieb noch einen Moment stehen. Auch wenn Jacky Donatz nichts dafür konnte, es würde eine Weile dauern, bis sie wieder ins Sonnenberg ginge.
»Sind Sie okay?«, erklang es leise aus dem Bentley, der ungefähr zehn Meter von ihr entfernt stand. Der gute Randolph hielt sich wie immer diskret im Hintergrund. Er hatte sie schon als Baby, als Kind und Teenager kotzen sehen und war früher sofort zur Stelle gewesen. Aber irgendwann war Lara in ein Alter gekommen, in dem sie es als entwürdigend empfand, wenn man ihr dabei zusah. Und da Randolph ein Gentleman war, hatte er diesen Zeitpunkt nicht verpasst.
Erleichtert und mit wackeligen Knien ging Lara zurück zum Wagen. Da riss ein gewaltiger Blitz den Bentley Brooklands auseinander. Eine Explosion. Teile flogen auf Lara zu, und die Druckwelle schleuderte sie in eine ferne Dunkelheit.
Als Lara die Augen wieder öffnete, blickte sie in bestürzte Gesichter. Ein halbes Dutzend Leute standen um sie herum, starrten wie Habichte aus heiterem Himmel.
Was war geschehen? Plötzlich spürte sie den harten Asphalt unter sich. Das war’s, sie lag am Boden. Deshalb waren die Köpfe oben, weit über ihr.
Ich will aufstehen, dachte sie. Ich steh jetzt auf … Doch ihren Kopf durchfuhren scharfe Messerstiche – und ein Krampf, der ihren ganzen Körper erfasste, riss sie zurück. Sie verlor erneut das Bewusstsein.
Es vergingen Minuten, bis sie erneut zu sich kam. Randolph! – war ihr erster Gedanke. Randolph und der Wagen und Feuer. Wieder schossen Blitze durch ihren Kopf. Lara stöhnte auf.
»Die hat’s aber übel erwischt«, hörte sie jemanden sagen.
»Ganz schlimm«, sagte ein anderer. »Ist voll auf das Auto zugegangen. Die Explosion … Ein Glück, dass sie noch lebt.«
Die Stimmen drangen zu ihr wie durch Watte, sie kamen näher und entfernten sich.
»Ist das ein Regierungswagen?«
»Was weiß ich.«
»Es war ein Bentley … ich hab’s genau gesehen. Hat gewartet, dort drüben.«
»Und die Ambulanz, warum dauert das nur so lange. Hab vor zwanzig Minuten angerufen.«
»Scheißambulanz!«
»Fährt die Regierung jetzt wieder Bentley?«
Lara blinzelte. Sie sah in schattenhafte Gesichter; Menschen, die sich über sie beugten, die kamen und gingen. Lara wollte aufstehen. Sie gab sich einen Ruck, spannte alle Muskeln an, und der stechende Schmerz raubte ihr den Atem. Sie schloss die Augen wieder.
Wie oft war sie schon vom Pferd gestürzt. Sie war im Kader der Militaryreiter gewesen, hatte sich Knochenbrüche und Prellungen geholt und ein halbes Dutzend Mal die Schulter ausgekugelt. Aber das hier war schlimmer. Schlimmer als alles andere.
Ich muss mein Gehirn ausschalten, dachte Lara. Den Nerven ein Schnippchen schlagen … sie austricksen. Aber ihr Körper warnte sie, zu viel war verletzt; zu viel zerstört. Er signalisierte ihr, dass sie verdammt noch mal stillhalten sollte, dass zu viel blutete in ihrem Innern.
Lara dachte an ihre Mutter, Vater, Charlotte … daran, dass sie ihnen nun über die Brücke folgen würde. Vielleicht war es besser, tot zu sein. Vielleicht gab es in der Welt der Toten diesen Schmerz nicht.
»Und pass auf Charlotte auf!« Dieser Satz kam Lara in den Sinn, als wollte er sie losreißen von den Gedanken ans Sterben. Plötzlich war da die lebendige Erinnerung an ihren Vater; daran, wie er sie morgens um fünf geweckt hatte, damit sie gemeinsam ausreiten konnten. Sie sah die feuchten Wiesen im Westen von Oxford, über die der Nebel kroch. Lara konnte sie förmlich riechen. Und sie hörte diese zur Härte erzogene Stimme: »Du musst auf sie aufpassen.«
»Aber
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