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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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ihn mit Filzschreiber bemalt und Vater geschenkt, der ihn als Briefbeschwerer verwendete. Weil die Farbe nicht hielt, hatte der Stein überall auf den Dokumenten blaue Flecken hinterlassen. »Der Mond ist ein Blaublüter«, hatte Vater gesagt und ihn trotzdem benutzt.
    Etwas Blau war noch dran und färbte auf Laras Finger ab. Sie sah sich weiter in der Kiste um. Zwischen der roten Sonne und dem gelben Stern (Charlottes Kieselsteinsammlung war endlos) fand sie auch ihre alten Hörkassetten: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Eins, zwei, drei … vier Stück waren es. Lara nahm sie heraus, legte sie nebeneinander auf das Bettlaken und betrachtete die Zeichnungen auf den Umschlägen. Plötzlich hatte sie Lust, die Geschichten noch einmal anzuhören.
    Paresh kam gegen fünf Uhr nachmittags.
    Lara lag dösend auf ihrem Bett, als das Sicherheitsschloss der Eingangstür geöffnet wurde. Sie hörte ein grobes Klacken und stellte sich vor, dass es so in Gefängnissen klang, wenn man die Zellen in Hochsicherheitstrakten auf- und zuschloss. Obwohl ihr das Sicherheit geben sollte, traf das Gegenteil zu. Bei ihr löste das Gefühl, von der Welt abgeschottet zu sein, Beklemmungen aus. Eine Empfindung, die von Tag zu Tag schlimmer wurde.
    Lara erinnerte sich an eine von Vaters Geschichten: Ein Wolf, den man mit einer Fußfessel gefangen hielt, hatte sich das Bein durchgebissen, um in Freiheit sterben zu können.
    »Ich will weg hier«, sagte Lara. Langsam richtete sie sich auf, schob sich ein Kissen in den Rücken und sah Paresh an. Er stand neben Laras Bett, trug einen dunkelblauen Sommeranzug mit weißem Hemd. Der oberste Kragenknopf stand offen.
    »Wie stellst du dir das vor?«, fragte er mit hörbar schlechterLaune. »Du bist hier in Behandlung, die kümmern sich gut um dich … Vielleicht hast du das auch schon gemerkt.«
    »Dann mach wenigstens die Schlösser weg. Hört auf, mich dauernd zu überwachen.«
    »Die Versicherungen bestehen darauf …«
    »Dann kündigen wir die Policen«, warf Lara dazwischen. »Ich will wieder ein Leben führen … ein eigenes!«
    »Du bist immer noch in Gefahr, Lara. Tut mir leid, wenn ich das so sagen muss. Es geht nicht ohne Polizeischutz.«
    »Ich habe keine Angst. Ich hatte das nie. Eigentlich kenne ich dieses Gefühl überhaupt nicht …« Lara wurde lauter. »Aber seit ich hier eingebuchtet bin … Das ist Scheiße, Paresh, glaub mir. Angst wird schlimmer, wenn man eingesperrt ist.«
    Als Paresh von dem Meeting mit Scotland Yard erzählen wollte, unterbrach ihn Lara ein zweites Mal: »Ich will davon nichts mehr wissen! Es wird nichts dabei herauskommen. Ich weiß es. Zuerst werden Aktenberge produziert, und dann kommt das große Schulterzucken … Lass es, es ist mir nicht mehr wichtig.«
    »Es war ein Anschlag, Lara. Randolph ist tot. Es muss dich doch interessieren, wer es auf dich abgesehen hat? Wir können nicht einfach den Kopf in den Sand stecken, oder? Vielleicht gibt es bereits neue Pläne. Du bist in Gefahr, Lara … Ist dir das wirklich egal?«
    »Ja, ist es. Es führt zu nichts. Versteh doch. Ich muss hier raus.«
    »Der Yard glaubt … Nun, ich denke, sie haben eine Spur.«
    »Sie haben immer Spuren und glauben irgendetwas. Ach, was weiß ich. London ist eine Hure geworden. Bezahlt von einem Haufen reicher Säcke. Und wenn du einen Handwerker brauchst, dann dauert es einen halben Tag, weil die sich die Mieten nicht mehr leisten können und irgendwo draußen in den Pampas wohnen.«
    »Okay.« Paresh schob das Kinn vor. »Ich sag nichts mehr.«
    Eine Weile sahen sie sich schweigend an. Dann blickte Lara neugierig auf die Ledermappe. Paresh hatte sie die ganze Zeit über nicht aus der Hand gelegt. »Du hast es doch, oder?« Lara streckte die Hand aus. »Ich hab’s dir noch mal auf die Combox gesprochen … Ich brauch das Gerät dringend, hast du’s?«
    »Weißt du eigentlich, dass es überhaupt keine Kassettenrekorder mehr gibt? In ganz London nicht.«
    »Blödsinn!«
    Für einen Moment hielt Paresh Laras fordernden Blicken stand, dann blinzelte er. »Okay, war nur ein Witz.« Er setzte sich auf die Bettkante. Er zog einen handgroßen Karton aus der Mappe. »Hier hast du’s. Gehört Kerim, meinem Sohn. Ein Walkman von Sony … war mal ein Riesenhit. Sein Patenonkel hat ihm den zu Weihnachten geschickt, aus Mombasa.«
    »Sehr gut. Und kann er ihn denn ein paar Tage entbehren?« Lara streckte ihre Hand aus und nahm die kleine Schachtel entgegen.
    »Kerim hat

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