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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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sich niemand; es kam wieder die Telefonistin. »Dann die Stationsärztin«, bat der Kommissar.
    Es meldete sich eine Frau Dr. Sägässer. »Ich kann Sie beruhigen. Herrn Lenz geht es den Umständen entsprechend gut.«
    »Und was sind das für Umstände?«
    »Sie können ihn besuchen. Er ist im Moment in der Neurologischen für weitere Abklärungen. In zwei Stunden ist er wieder in seinem Zimmer. Herr Lenz hatte einen Schlaganfall, wissen Sie … eine Transitorische Ischämische Attacke, vermuten wir. Einen Hirnschlag, um es kurz zu machen. Wenn wir Glück haben und es ist wirklich eine TIA , dann ist es reversibel. Trotzdem müssen wir sichergehen, dass es nicht zu einem Rückfall kommt. Eine solche Attacke kann auch ein Vorbote sein.«
    »Vorbote für was?«
    »Für Schlimmeres. Aber wenn Sie vorbeikommen, dann kann ich Ihnen das alles erklären.«
    Eschenbach beendete das Gespräch, saß eine Weile regungslos auf dem Stuhl, mitten in Lenzens Chaos, und versuchte nachzudenken. Dann stand er auf und verließ die Wohnung.

7
    D as Spitalzimmer lag im siebten Stock, und es war noch immer leer, als Eschenbach eintraf.
    Die Ärztin, mit der er telefoniert hatte, fand er in der Station, ein paar Zimmer weiter. Sie erklärte ihm in kurzen, prägnanten Sätzen, was passiert war. Der Geigenbauer hatte den Alten verwirrt aufgefunden. Im Schlafrock habe Lenz im Garten gestanden, mitten in der Nacht, und seltsames Zeugs geredet. Von einem Schachspiel ohne Könige und von Seerosen, deren Wurzeln nicht im Boden, sondern im Wasser lägen.
    Auch die Ischämische Attacke erklärte Dr. Sägässer nochmals; dass sie – weil transitorisch – eben reversibel sei. »Herr Lenz ist wieder bei bestem Verstand«, versicherte sie Eschenbach. »Es war eine kurze Unterversorgung im Hirn. Hoffen wir jetzt das Beste.«
    Eschenbach wartete und hoffte. Unruhig schritt er das Zimmer ab, blieb hin und wieder stehen und sah zum Fenster hinaus, hinunter auf die Stadt. Eigentlich war das Triemli ein Aussichtspunkt. Es gab kaum schönere Blicke auf Zürich. Wenn man hier, in einem dieser oberen Stockwerke stürbe, dann hätte man einen letzten guten Eindruck von der Welt, dachte er.
    Eine halbe Stunde später kamen die Pfleger. Ein dicker Bärtiger und ein Schlaks mit getönten Augenbrauen. Sie schoben Lenzens Bett mit dem Kopfende zur Wand neben den kleinen Tisch, auf dem eine Box mit Tabletten und eine Flasche Mineralwasser standen. »Sie haben Besuch«, riefen sie fröhlich.
    Der Alte öffnete die Augen.
    Weder Eschenbach noch Lenz sagten etwas. Sie sahen sich an und warteten, bis die Pfleger das Zimmer verließen.
    Eschenbach kramte in seiner Tasche, holte die Bruyèrepfeife hervor und gab sie dem Alten. »Die hast du vermutlich verloren, als man dich zum Krankenwagen gebracht hat.«
    »Ich kann mich an alles erinnern«, begann Lenz. Seine Stimme klang zerbrechlich.
    »Was wolltest du nachts im Garten, Ewald?«
    »Das weiß ich nicht mehr.«
    Der Kommissar blickte in müde Augen, die immer wieder unter schweren Lidern verschwanden. »Wie fühlst du dich?« Und als Lenz nicht reagierte, da konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Er fragte, was ihm die ganze Zeit über durch den Kopf spukte: »Die Akte, Ewald. Du hast vor x Jahren eine Akte erstellt für einen Geschäftsmann in London. Bischoff hieß der, du weißt schon. Kinder der Landstrasse … Pro Juventute.«
    Lenz bekam einen Hustenanfall.
    »Verdammt, Ewald«, sagte der Kommissar. »Mach jetzt bitte kein Theater. Ich hab dich gehört, eine Aufnahme.«
    Lenz krächzte und röchelte.
    »Und die Mühle … die hast du gekauft, habe ich gehört.«
    Auf einen Schlag richtete sich der Alte in seinem Bett auf und sah Eschenbach an. Kein Röcheln und kein Husten mehr. »Also gut«, sagte er. »Wenn du’s wissen willst: Es ist Unabhängigkeit.«
    »Wie meinst du das?«
    »Weshalb das Ganze, und wieso? Das willst du doch wissen. Und was das Ziel ist. Drum sag ich’s: Meines ist Unabhängigkeit.« Lenz zupfte demonstrativ an seinem Schnurrbart. »Hast du wirklich geglaubt, ich hock bei euch im Archiv und mach den Diener? Hast du dich nie gefragt, woher ich die ganzen Informationen hatte, die du so dringend gebraucht hast und von denen euer Polizeicomputer nicht einmal träumen konnte?«
    »Es stimmt also.«
    Lenz nickte.
    »Und ich hoffte, du hättest eine Erbschaft …«
    »Ich will dir keinen Mumpitz ans Bein binden«, sagte der Alte und sah Eschenbach direkt an. »Ich suche, finde oder kaufe

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