Second Face
angesehen wird, im Zweierpack. Dann fängt die Menge an zu schreien und zu johlen.
Anne winkt ins Publikum. Genau so hat sie sich das ausgemalt. Und sie ahnt, dass sie schon jetzt den Sieg in der Tasche hat.
Marie aber sieht nur Lirim, dessen Augen von Anne zu Marie und zurück zu Anne wandern. In seinem Gesicht liegt verwundertes Staunen. Oder ist es eher Erschrecken?
Marie hat plötzlich ein ungutes Gefühl im Bauch.
Dann setzt die Musik ein.
Es klappt sogar noch besser als beim Schulfest. Weder beim Gesang noch beim Tanzen machen sie einen Fehler. Anne und Marie, sie sind an diesem Abend eine unschlagbare Einheit.
Als der letzte Ton verklingt, ist es für einen Moment ganz still. Aber dann schlägt der Applaus über ihnen zusammen.
Für das Publikum steht der Sieg fest, obwohl Margarita noch gar nicht aufgetreten ist. Marie tut sie ein bisschen leid, denn sie kann gut tanzen. Aber an diesem Abend hat sie keine Chance.
Und so ist es keine Überraschung, als die Jury verkündet: »The winners are … Anne und Marie!«
An diesem Abend findet Marie keine Gelegenheit mehr, alleine mit Lirim zu reden. Als er ihnen zusammen mit den anderen Jurymitgliedern die Hand schüttelt, blickt er nur verwirrt von einer zur anderen. Später sieht sie ihn von Weitem im Gespräch mit Anne. Dann ist er plötzlich verschwunden.
Hoffentlich sitzt er jetzt nicht am Strand und wartet, denkt Marie. Aber heute kann sie Anne nicht alleinelassen. Sie werden von allen Seiten umringt und müssen am Ende noch einmal auf die Bühne, um den Siegertanz zu wiederholen.
Lange nach Mitternacht kommen sie zu Hause an, wo die Eltern auf sie gewartet haben. »Meine Töchter die Königinnen von Ummanz! Wer hätte das vor zwei Monaten gedacht!« Der Vater schaut stolz von einer zur anderen. Zum ersten Mal sind alle vier versöhnt mit der neuen Heimat, selbst Anne.
Nur Marie hat wieder dies ungute Gefühl im Bauch. Warum ist Lirim so schnell verschwunden? Warum nur hat sie das Gefühl, dass irgendetwas entsetzlich schiefgelaufen ist?
Als sie nach oben auf ihre Zimmer gehen, fragt sie Anne: »Ich habe gesehen, wie du mit Lirim geredet hast. Was …«
»Ganz unwichtig!«, sagt Anne und legt den Arm um die Schwester. »Lirim – Lirum, Larum, Löffelstiel! Ich habe dich und du hast mich und alle Männer sind scheiße!«
11
Am nächsten Morgen, Anne schläft noch, sattelt Marie Svantevit und reitet ins Jugenddorf. Sie hat fast die ganze Nacht wach gelegen und nachgedacht. Sie muss Lirim unbedingt sprechen.
Er sitzt mitten unter den Jugendlichen am Frühstückstisch. Er sieht nur kurz auf, als sie hereinschaut. Dann wendet er sich wieder seinem Marmeladenbrot zu, ohne sie weiter zu beachten.
Sie hat es geahnt. Irgendwas ist schrecklich fasch gelaufen. Sie wartet ungeduldig vor der Tür, bis das Frühstück vorüber ist und alle nach draußen strömen.
Lirim ist noch im Frühstücksraum.
»Du schon wieder!«, sagt er, als er Marie sieht. »Was willst du noch?«
»Hast du Zeit? Ich muss dir etwas erklären.«
»Kein Bedarf mehr. Ich habe alles verstanden, war ja deutlich genug! Verarscht habt ihr mich, du und deine Schwester.«
»Wieso verarscht?«
»Tja, ich weiß ja nicht mal, wer du bist? Bist du Marie? Oder bist du … Wie heißt deine Schwester noch mal? Anne? Mit wem war ich denn am Strand und habe die Sterne angesehen? Und wer ist das Mädchen, das lieber die ganze Nacht in der Disco verbringt und sich jedem Jungen an den Hals schmeißt? Das war nicht das Mädchen vom Strand, in das ich mich … Ach, vergiss es!«
»Annes Freund hat sie verlassen und da war diese Liste … da wollte sie sich rächen und ...«, stottert Marie etwas hilflos und merkt selber, wie furchtbar das alles klingt.
»Rächen? Ausgerechnet an mir? Was habe ich euch denn getan? Superidee! Und da habt ihr diesen Plan ausgeheckt und ich war euer erstes Opfer. Danke schön! Ihr habt mich wahrscheinlich beobachtet, wusstet, dass ich abends immer schwimmen gehe und dass ich Pferde mag, und der Rest war ganz einfach! Und ich Trottel denke auch noch, dass … Na, ist jetzt sowieso alles egal.«
»Aber so war das nicht. Als wir uns das erste Mal getroffen haben, da war das doch noch gar nicht … mit Annes Freund, meine ich! Da … Du musst mir glauben …«
Lirim lacht auf: »Glauben? Dir? Ich kenne dich doch gar nicht! Wer bist du? Der Racheengel oder die Marie vom Strand? Spar dir deine Erklärungen! Ich glaube keiner von euch auch nur ein Wort! Du oder deine
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