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Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Angenommen, Putin tritt ab. Dann besteigt ein neuer Selbstherrscher den Thron. Geklaut werden wird nach wie vor. Nach wie vor werden die Hausflure dreckig sein, die Alten einsam und verlassen, die Beamten zynisch und die Verkehrspolizisten unverschämt … und Bestechung wird als normal gelten … Was hat es für einen Sinn, die Regierung auszuwechseln, wenn wir selbst uns nicht ändern? Ich glaube an keine Demokratie bei uns. Es ist ein orientalisches Land … Feudalismus … Popen statt Intellektuelle …«
     
    »Ich mag die Menge nicht … Die Herde … Die Menge entscheidet nie etwas, Persönlichkeiten entscheiden. Die Regierenden haben dafür gesorgt, dass es an der Spitze keine herausragenden Persönlichkeiten gibt. Die Opposition hat keinen Sacharow und keinen Jelzin. Die ›Schneerevolution‹ 9 hat keine eigenen Helden hervorgebracht. Wo bleibt ein Programm? Was wollen sie tun? Was für Steuern erheben? Sie laufen eine Weile rum und schreien … Und dann schreiben Nemzow … und Nawalny bei Twitter, dass sie jetzt Urlaub auf den Malediven machen oder in Thailand. Oder Paris bewundern. Stellen Sie sich vor, Lenin wäre 1917 nach einer Demonstration nach Italien gefahren oder zum Skilaufen in die Alpen …«
     
    »Ich gehe nicht auf Kundgebungen und nicht zu Wahlen. Ich habe keine Illusionen …«
     
    »Habt ihr eine Ahnung, dass es außer euch noch Russland gibt? Bis nach Sachalin … Und Russland will keine Revolutionen – keine orangefarbene, keine Rosen- und auch keine Schneerevolution. Schluss mit den Revolutionen! Lasst die Heimat in Ruhe!«
     
    »Mir ist scheißegal, was morgen wird …«
     
    »Ich will nicht zusammen mit Kommunisten und Nationalisten marschieren … und mit Nazis … Würden Sie zu einer Demo mit Ku-Klux-Klan-Anhängern mit Kapuzen und Kreuzen gehen? Egal, was für ein wunderbares Ziel sie hätte. Wir träumen jeder von einem anderen Russland.«
     
    »Ich gehe nicht hin … Ich hab Angst, eins mit dem Gummiknüppel auf den Kopf zu kriegen …«
     
    »Beten muss man, nicht auf Kundgebungen laufen. Der HERR hat uns Putin geschickt …«
     
    »Mir gefallen die revolutionären Fahnen draußen nicht. Ich bin für Evolution … für Aufbau …«
     
    »Ich gehe nicht hin … Und ich werde mich nicht dafür rechtfertigen, dass ich diese Politshow nicht besuche. Diese Kundgebungen sind billige Effekthascherei. Man muss selber ehrlich leben, wie Solschenizyn es gelehrt hat. Ohne das kommen wir keinen Millimeter voran. Da laufen wir nur im Kreis.«
     
    »Ich liebe die Heimat auch so …«
     
    »Ich habe den Staat aus meinem Interessenfeld ausgeblendet. Meine Prioritäten sind Familie, Freunde und mein Unternehmen. Hab ich mich klar ausgedrückt?«
     
    »Bist du vielleicht ein Volksfeind, Bürger?«
     
    »Irgendwas wird auf jeden Fall passieren. Und zwar bald. Noch keine Revolution, aber es riecht schon nach Ozon. Alle warten: Wer, wo, wann?«
     
    »Ich hab gerade erst angefangen, normal zu leben. Lasst mich in Ruhe leben!«
     
    »Russland schläft. Machen Sie sich nichts vor.«
     
     
    XXXII Sieg Heil – im Original deutsch.
     
    XXXIII Pachan – Kriminellenjargon: Anführer in der Kriminellenhierarchie.

 
     
     
    ZEHN GESCHICHTEN IN ROTEM INTERIEUR

VON ROMEO UND JULIA …
NUR HIESSEN SIE MARGARITA UND ABULFAS
     
Margarita K., armenischer Flüchtling, 41 Jahre alt
     
     
    Ach! Nicht darüber … Darüber will ich nicht … Ich weiß etwas anderes …
    Wenn ich schlafe, verschränke ich noch immer die Arme hinterm Kopf, eine Gewohnheit aus der Zeit, als das Glück noch da war. Ich habe so gern gelebt! Ich bin Armenierin, aber geboren und aufgewachsen bin ich in Baku. Am Meer. Das Meer … mein Meer! Ich bin weg von dort, aber ich liebe das Meer; die Menschen und alles andere haben mich enttäuscht, ich liebe nur das Meer. Ich sehe es oft im Traum – grau, schwarz, violett. Und die Blitze! Die Blitze tanzen mit den Wellen. Ich schaute gern in die Ferne, wenn abends die Sonne unterging, sie ist abends so rot, dass man glaubt, es müsse zischen, wenn sie ins Meer sinkt. Die Steine, die sich am Tag erwärmt haben, die warmen Steine sind wie lebendig. Ich schaute gern aufs Meer, morgens und am Tag, abends und in der Nacht. Nachts kamen die Fledermäuse, vor denen hatte ich große Angst. Die Zikaden zirpten. Der Himmel war voller Sterne … nirgendwo sonst gibt es so viele Sterne … Baku ist meine absolute Lieblingsstadt … Meine liebste Stadt, trotz allem! Im Traum gehe ich

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