Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)
Schloss auf Zypern … Was sind das für Kommunisten? Woran glauben die denn noch? Wenn du so etwas fragst, wirst du angeschaut wie ein kleines Dummchen. »Erzählen Sie uns keine sowjetischen Märchen. Hören Sie bloß auf.« Ein solches Land haben sie zerstört! Zu Schleuderpreisen verhökert. Unsere Heimat … Damit die Leute auf Marx schimpfen und Europa bereisen können. Diese Zeit ist genauso schlimm wie unter Stalin … Ich weiß, was ich sage! Werden Sie das schreiben? Das glaube ich nicht. (Ich sehe es – sie glaubt mir nicht.) Es gibt keine Kreiskomitees mehr, keine Gebietskomitees. Es ist aus mit der Sowjetmacht. Und was haben wir stattdessen bekommen? Einen Boxring, einen Dschungel … Eine Herrschaft der Diebe … Totgeschossen haben sie sich gegenseitig beim Verteilungskampf … um den großen Kuchen … Mein Gott! Tschubais … der »Vorarbeiter der Perestroika« … Heute brüstet er sich, hält in der ganzen Welt Vorträge. Sagt, in anderen Ländern habe der Kapitalismus Jahrhunderte gebraucht für seine Entwicklung, bei uns nur drei Jahre. Mit chirurgischen Methoden … Und wenn sich dabei Leute etwas zusammengestohlen haben – na wenn schon, vielleicht werden ihre Enkel anständige Menschen. Brrr!! Und das sind Demokraten … (Sie schweigt.) Sie haben die amerikanischen Kleider anprobiert, haben auf Uncle Sam gehört. Aber die amerikanischen Kleider passen nicht. Sitzen schief und krumm. So ist das!! Nicht auf Freiheit waren sie aus, sondern auf Jeans … auf Supermärkte … Haben sich verführen lassen von bunten Verpackungen … Jetzt sind auch bei uns die Läden voll. Im Überfluss. Aber Berge von Wurst haben nichts mit Glück zu tun. Mit Ruhm. Das war einmal ein großes Volk! Es wurde zu Krämern und Plünderern gemacht … zu Geschäftemachern und Managern …
Als Gorbatschow kam … da war die Rede von der Rückkehr zu den leninschen Prinzipien. Alle waren begeistert. Mitgerissen. Das Volk wartete seit langem auf Veränderungen. Seinerzeit hatten die Leute an Andropow geglaubt … Schön, er war ein KGB -Mann, ja … Wie soll ich Ihnen das erklären? Vor der KPdSU hatte niemand mehr Angst. Sogar die Männer am Bierkiosk schimpften ungeniert auf die Partei, auf den KGB dagegen niemals. O nein! Das saß tief im Gedächtnis … Jeder wusste, diese Jungs würden für Ordnung sorgen … mit harter Hand, mit glühenden Eisen, mit eisernem Besen. Ich will keine Binsenweisheiten wiederholen. Aber Dschingis Khan hat unsere Gene verdorben … und die Leibeigenschaft … Wir waren daran gewöhnt, dass man uns prügeln muss, dass ohne Prügel bei uns nichts geht. Und genau damit hat Andropow angefangen – er hat die Schrauben angezogen. Es herrschte allgemeine Schlamperei: Die Leute gingen während der Arbeitszeit ins Kino, in die Sauna und einkaufen, tranken endlos Tee. Die Miliz organisierte Kontrollen, Razzien. Sie überprüften die Papiere, griffen Arbeitsbummler auf der Straße, in Cafés und in Geschäften auf und machten Mitteilung an die Arbeitsstelle. Es gab Geldstrafen und Entlassungen. Aber Andropow war schwer krank. Er starb bald. Einen nach dem anderen haben wir begraben … Breschnew, Andropow, Tschernenko … Der populärste Witz damals, bis zu Gorbatschow, ging so: »Wir verlesen eine TASS -Meldung. Sie werden lachen, aber wieder ist der Generalsekretär des ZK der KPdSU gestorben …« Hahaha. Das Volk lachte in seinen Küchen, wir in unseren … Auf dem Fußbreit Freiheit. Küchengeschwätz … (Sie lacht.) Ich weiß noch genau, bei bestimmten Gesprächen wurden Radio oder Fernseher laut gestellt. Das war eine richtige Wissenschaft. Wir erklärten uns gegenseitig, was man tun müsse, damit die KGB -Leute nicht mithören konnten: Man hält die Wählscheibe nach der letzten Zahl fest und klemmt einen Bleistift rein, der Finger tat einem ja schnell weh, wenn man die Wählscheibe lange festhielt … Das hat man Ihnen bestimmt auch beigebracht, oder? Erinnern Sie sich? Wenn man etwas »Geheimes« sagen wollte, ging man zwei, drei Meter weg vom Telefon, vom Hörer. Spitzeleien, Abhören – das gab es überall, in der ganzen Gesellschaft, von ganz oben bis ganz unten. Auch wir im Kreiskomitee rätselten immer: Wer ist bei uns Spitzel? Später stellte sich heraus, dass ich einen völlig Unschuldigen in Verdacht gehabt hatte und dass es nicht nur einen Spitzel gegeben hatte, sondern mehrere. Und gerade auf die wäre ich nie gekommen … Eine davon war unsere Putzfrau. Eine freundliche,
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