See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
Ermittlungen einfach akzeptiert. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass es sich nicht um einen Selbstmord handeln könnte. Erst jetzt hatte er leise Zweifel. Durch Susannahs Brief, den er in der Wohnung seiner Mutter gefunden hatte, war der vage Verdacht in ihm geweckt worden, dass irgendetwas nicht stimmte. Hätte er sofort auf sein Gefühl gehört und wäre direkt nach ihrem Tod hergeflogen, hätte er alle Fragen sofort klären können.
Entschlossen umklammerte Ryan das Lenkrad seines Mietwagens. Diesmal würde er sich erst zufriedengeben, wenn alle Unstimmigkeiten aus dem Weg geräumt wären, schwor er sich.
In diesem Moment kam das Lakeview Inn in Sicht. Anscheinend war es das einzige Hotel im Ort, zumindest hatte Ryan im Internet kein anderes gefunden. Hoffentlich hatten sie noch ein Zimmer frei. Vor seiner übereilten Abreise war er nicht mehr dazu gekommen, eines reservieren zu lassen.
Er fuhr auf den Parkplatz. Nur ein einzelnes Auto war dort abgestellt. Auch rund um das kleine Hotel wirkte alles wie ausgestorben. Der Mai war wohl nicht unbedingt der bevorzugte Monat, in dem sich viele Touristen nach Shadow Lake verirrten. Ryan bezweifelte allerdings, dass es überhaupt eine Jahreszeit gab, zu der in dem kleinen Ort etwas los war.
Er stieg aus, öffnete den Kofferraum und nahm seinen Koffer heraus. Er ließ den Blick schweifen. Das Hotel war schon in die Jahre gekommen und sah nicht besonders einladend aus. Die Holzverkleidung war nicht gestrichen und wirkte schäbig. Die Blumen in den großen Pflanzkübeln aus Beton, die zu beiden Seiten der Einfahrt zum Parkplatz standen, brauchten dringend Wasser. Sie ließen schon die Köpfe hängen. Dagegen wucherte das Unkraut zwischen ihnen um so mehr. Ryan hoffte, dass es im Inneren des Hotels gepflegter aussah.
»Naja, für zwei oder drei Nächte wird es schon gehen«, murmelte er, während er auf den Eingang zusteuerte.
Der Gastraum des Restaurants war gleichzeitig die Rezeption für die Hotelgäste. Momentan herrschte an den Tischen gähnende Leere, kein einziger Gast war zu sehen. Hinter einem langen Tresen aus dunklem Holz stand ein Mann mit grauen Locken und einer Brille mit kreisrunden Gläsern und polierte Gläser. Er nickte Ryan zur Begrüßung zu. Vor ihm stand ein Messingschild, auf dem der Name Hank Friday eingraviert war. Auf dem Tresen der Bar wirkte es seltsam deplatziert.
»Was darf`s denn sein?«, erkundigte er sich freundlich, allerdings ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
»Ich brauche ein Zimmer für zwei oder drei Nächte, vielleicht auch länger«, gab Ryan zurück. »Haben Sie eines frei?«
»Sicher. Sie können sich eins aussuchen. Nur die Präsidentensuite ist belegt.« Hank lachte gackernd über seinen eigenen Scherz. »Möchten Sie die Zimmer sehen?«
Ryan schüttelte den Kopf. Es gab kein anderes Hotel in der Nähe, also würde er mit dem Zimmer hier auskommen müssen, egal wie es aussah. Außerdem machte das Lakeview Inn von innen doch einen etwas besseren Eindruck als von außen, was ihn in gewisser Weise beruhigte.
Er nahm das auf ein Klemmbrett geheftete Formular entgegen, das Hank ihm reichte, füllte es mit dem daran befestigten Kugelschreiber aus und schob es dem Rezeptionisten über den Tresen zurück. Als dieser den Namen des neuen Hotelgastes las, schnellten seine Augenbrauen in die Höhe. Durch die runden Brillengläser warf er ihm einen prüfenden Blick zu. Er schien mit sich zu kämpfen, ob er nachfragen sollte oder nicht, sagte aber nichts.
Ryan kam ihm nicht zu Hilfe. Ihm war klar, was Hank beschäftigte. Susannahs Selbstmord musste in einem kleinen Kaff wie Shadow Lake hohe Wellen geschlagen haben und ihr Nachname MacIntyre war sicher noch allen geläufig. Aber Ryan hatte nicht vor, jedem unter die Nase zu reiben, wer er war und warum er hergekommen war. Er würde erst dann etwas preisgeben, wenn er es für richtig hielt, zumindest solange ihn keiner direkt danach fragte.
Er gab Hank die Kreditkarte und nahm den Zimmerschlüssel in Empfang. »Nummer vier, die Treppe hoch und dann den Gang durch bis zur letzten Tür auf der rechten Seite«, wies ihn der Rezeptionist an, und wünschte ihm einen angenehmen Aufenthalt.
Nachdem Ryan seine Sachen ins Zimmer gebracht und das Fenster so weit wie möglich geöffnet hatte – obwohl er ausdrücklich ein Nichtraucherzimmer verlangt hatte, stank der Raum nach altem Zigarettenqualm – machte er sich auf den Weg zum Büro des Sheriffs. Auf der Fahrt zum Hotel hatte er
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