See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
berichtete sie von ihrem Besuch bei Mrs Pretzky. Als sie erzählte, dass sie das Armband der skelettierten Leiche als das von Millie Walls identifiziert hatte, starrte Justin sie entsetzt an.
»Sie haben Millie gefunden? Jetzt? Nach so vielen Jahren?«, murmelte er. »Ich kann das gar nicht glauben.«
»Aber es ist leider die Wahrheit.« Tess nickte traurig und presste die Lippen aufeinander. »Und leider ist das noch nicht alles«, fuhr sie fort. »Der Grund, warum das Waldstück überhaupt abgesucht worden ist, war nämlich der, dass zwei Jugendliche schon vorher eine Leiche gefunden haben. Und die lag noch nicht lange dort. Ich habe ein Bild von ihr gesehen. Ihr Gesicht war noch sehr gut zu erkennen.«
Justin schluckte einmal, bevor er fragte: »War das etwa auch jemand, den wir kannten?«
Als Tess den Kopf schüttelte, wirkte er erleichtert. »Es war ein junges Mädchen«, erzählte sie. »Sie war oben aus dem Norden von Oregon und hieß Cristina Gomez. Sie war noch nicht einmal achtzehn Jahre alt. Vor ihrem Tod muss sie sehr hübsch gewesen sein, ich hätte mich bestimmt an sie erinnert, wenn ich ihr schon einmal begegnet wäre. Vor allem ihre Haare hätte ich nicht vergessen. Sie hatte eine total auffällige Frisur. Die eine Seite war ganz normal lang und schwarz, wahrscheinlich ihre Naturhaarfarbe. Aber die andere Seite war kurz geschnitten und in einem leuchtenden Rot gefärbt.«
Justin sagte nichts. Er starrte Tess nur entgeistert an.
Erst jetzt fiel ihr die Blässe in seinem Gesicht auf. Nun war sie es, die vorsichtig ihre Hand auf seinen Arm legte. »Was ist denn mit dir? Geht es dir nicht gut?«, fragte sie mitfühlend.
»Doch, doch«, wehrte er ab, aber seine Bewegungen wirkten fahrig. Dann versuchte er zu lächeln, was ihm nicht ganz gelang. Es wurde eher eine gequälte Grimasse daraus. »Ich muss erstmal verdauen, was du mir gerade erzählt hast.«
Dann warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. »Sei mir nicht böse, aber ich muss jetzt dringend weg«, wandte er sich wieder an Tess. »Ich habe noch einen wichtigen Termin, zu dem ich nicht zu spät kommen sollte. Ich hoffe, wir sehen uns noch mal, bevor du wieder nach San Francisco gehst.« Ohne eine weitere Verabschiedung drehte er sich um und ging quer über die Straße.
»Grüß Shannon von mir, ja?«, rief Tess ihm noch hinterher, war sich aber nicht sicher, ob er es überhaupt wahrgenommen hatte. Zumindest gab er ihr keine Antwort.
Nachdem Justin sich in sein Auto, einen grauen Chrysler, gesetzt hatte und losgefahren war, setzte sie ihren Weg zum Büro des Sheriffs fort. Sie wollte Marcks persönlich über Millie informieren, bevor Mrs Pretzky das tat. Und dabei wollte sie ganz genau seine Reaktion beobachten.
Während Tess die Straße entlangging, ließ sie sich Justins Reaktion noch einmal durch den Kopf gehen. Sie verstand selbst nicht genau, warum, aber irgendetwas hatte sie gestört. Je länger sie darüber nachdachte, umso mehr wurde ihr klar, was es war:
Justin wusste mehr, als er zugegeben hatte.
37. Kapitel
Zur gleichen Zeit stand Ryan vor der Tür von Greg Koborskis Haus und lauschte. Er hatte jetzt schon zweimal laut geklopft, aber im Inneren des Hauses rührte sich nichts.
Der nächste Fehlschlag, dachte Ryan frustriert. Im Verlauf des Tages war er in Medford gewesen und hatte mit ein paar von Susannahs ehemaligen Arbeitskollegen gesprochen. Leider hatte er dabei nichts erfahren, dem er eine tiefere Bedeutung zumaß.
Ryan ließ einen Moment den Blick schweifen. Das Haus konnte man kaum als solches bezeichnen. Es war eher eine grob zusammengezimmerte Hütte. Aus der Nähe betrachtet wirkte es noch schäbiger als von Ellens Grundstück aus. Die Wände waren teilweise schief und verzogen, die Fenster waren nicht richtig eingepasst, sodass deutliche Spalten zwischen Wand und Fensterrahmen sichtbar waren. Die Dachschindeln waren verwittert und hatte sich teilweise gehoben.
In dem Haus muss es bei Wind kräftig ziehen, dachte Ryan. Wahrscheinlich kann man es im Winter auch mit einem Kaminfeuer und auf höchster Stufe laufender Heizung nie richtig warm bekommen. Da war es ja kein Wunder, dass Koborski sofort Interesse an Ellens Haus signalisiert hatte, als es ihm von Tess angeboten worden war.
Dennoch wunderte sich Ryan, was der Typ eigentlich in Shadow Lake wollte. Was brachte einen alleinstehenden Erwachsenen dazu, sich ausgerechnet in so einem kleinen Kaff niederzulassen? Ryan schüttelte den Kopf. Wenn Koborski
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