Seefeuer
das Kennzeichen
hätte sie inzwischen im Schlaf nennen können – endlich gegen elf die Tiefgarage
verließ, war sie ihm bis nach Konstanz gefolgt. Beschattungen dieser Art führte
sie nicht zum ersten Mal durch; sie wusste, wie man es anstellt, an einem
Verfolgten dranzubleiben, ohne dessen Verdacht zu erregen. Zudem hatte ihr der
Anwalt mit seinem zögerlichen Fahrstil die Aufgabe ziemlich leicht gemacht.
Wie bereits am Vortag hatte die Fahrt auf dem
Parkplatz vor dem Delphi geendet. Offenbar wollte Pohl ein weiteres Mal zu
Kalaschnikow. Während sie in sicherer Deckung auf seine Rückkehr wartete, war
ein weiteres Fahrzeug auf den Parkplatz gerollt, dem zu ihrer großen
Überraschung Wolf und Jo entstiegen. Zielstrebig hatten sich die beiden auf das
Lokal zubewegt und waren in dessen Eingang verschwunden.
Nur wenige Augenblicke später war Pohl hinter dem Haus
vorgekommen, zu seinem Wagen geeilt und hatte die Rückfahrt angetreten. Ganz
offensichtlich hatte ihn die drohende Begegnung mit Wolf zur Flucht veranlasst.
Karin hatte ein Grinsen nicht unterdrücken können, der Vorgang war einfach zu
amüsant.
Zurück in Überlingen, hatte sie ihren Wagen unweit von
Pohls Kanzlei abgestellt und sich in einer nahen Bäckerei ein Croissant
besorgt. Sie hatte zum Frühstück gewohnheitsmäßig nur einen Magermilchjoghurt
mit eingestreuten Sesamkörnern und einem Teelöffel Honig zu sich genommen –
kein Wunder, dass ihr um die Mittagszeit der Magen knurrte. Überdies war sie
wild entschlossen, bis Mitternacht, wenn es sein musste auch länger, an Pohl
dranzubleiben. Seit der Fall vor gut einer Woche seinen Anfang genommen hatte,
war der Anwalt für sie zu einer Art Schlüsselfigur geworden. Selbst wenn er
nicht zu den Tätern gehörte, so würde er sie ziemlich sicher zu diesen führen,
das spürte sie.
Der Nachmittag hatte dann ihre Ausdauer auf eine harte
Probe gestellt. Stunde um Stunde war vergangen, ohne dass Pohl oder sein Wagen
aufgetaucht war. Zweimal war sie, nervös geworden, zur Tiefgarage geeilt, um
sich davon zu überzeugen, dass Pohls Wagen noch an seinem Platz stand. Sie
hätte sich nicht gewundert, wenn er sich in einem kurzen Moment der
Unachtsamkeit in Luft aufgelöst hätte.
Endlich war der Mercedes in der Tiefgaragenausfahrt
aufgetaucht. Sie hatte Mühe, ihren eigenen Wagen schnell genug zu wenden und
Pohl auf den Fersen zu bleiben. Gemächlich war der Anwalt bis hinter Nußdorf
gefahren und dort auf die B31 eingeschwenkt.
Insgeheim hatte Karin mit einer längeren Ausfahrt
gerechnet. Doch bereits nach einem Kilometer Fahrt hatte Pohl den Blinker
gesetzt und war, sobald es der Gegenverkehr auf der Schnellstraße erlaubt
hatte, nach links in einen Waldweg eingebogen – ein durchaus heikler Moment,
denn Karin hätte es Pohl schlecht gleichtun können, vielmehr musste sie dicht
an ihm vorbeifahren. Er schien sie jedoch nicht bemerkt zu haben.
Ohne Eile hatte Karin ihren Wagen bei der Ausfahrt zur
Basilika Birnau gewendet. Zufrieden summte sie vor sich hin. Jetzt war sie
sicher, das Ziel des Anwalts zu kennen: Trosts Jagdhütte tief im Mauracher
Wald.
Auf diese Hütte war Karin zum ersten Mal vor zwei
Tagen gestoßen, als sie Weselowskis Freundeskreis recherchierte. Es war nicht
schwer gewesen, den Jagdpächter und die genaue Lage der Hütte zu erfahren. Über
den Landesjagdverband hatte sie sich zum Hegering des Bodenseekreises
durchgefragt, hatte der Frau am Telefon etwas von einem geplanten Artikel über
den deutschen Wald und das traditionsreiche Waidwerk vorgeflunkert und
beiläufig den Mauracher Wald erwähnt. Zwei Minuten später hatte sie gewusst,
was sie wissen wollte – und war ihrem Ziel, Licht ins Dunkel dieses Falles zu
bringen, ein ganzes Stück näher gekommen.
Noch heute Abend würde sie mit etwas Glück einer
»Sitzung« jener Altherrenclique beiwohnen, hinter der sie seit Tagen her war.
Denn dass Pohl bei Dunkelheit nicht allein zu dieser Jagdhütte fuhr, sondern
sich dort mit seinen Spezis zu treffen beabsichtigte, das war für Karin so klar
wie Kloßbrühe.
Sie passierte den Waldweg, den Pohl genommen hatte,
folgte ihm jedoch nicht. Sie würde einen anderen Weg nehmen. Sie wollte das
Risiko vermeiden, von den alten Knackern vor der Zeit entdeckt zu werden.
Bereits gestern Vormittag, als sie zum ersten Mal in den Wald gefahren war, um
die Hütte unauffällig zu inspizieren, hatte sie vorsorglich einen Weg
ausgekundschaftet, der von der entgegengesetzten Seite zur Hütte
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