Seefeuer
Frage! Wolf und Marsberg bedankten sich
und eilten in die angegebene Richtung. Schon von Weitem sahen sie den Wagen,
die Fahrertür stand offen, ein Uniformierter daneben.
»Wer hat ihn entdeckt?«, fragte Wolf den
Schutzpolizisten und umschritt, mit den Augen nach innen spähend, das Auto.
Gleichzeitig zog er sich weiße Latexhandschuhe über.
»Ich sollte die Umgebung des Tatorts observieren, da
bin ich draufgestoßen.«
»Sehr gut«, lobte Wolf. Bei dem Wagen handelte es sich
um einen silberfarbenen A-Klasse-Mercedes mit Überlinger Kennzeichen. Die
Harpune auf dem Beifahrersitz konnte selbst ein Halbblinder nicht übersehen.
Unvermittelt klingelte Wolfs Handy. Eine weibliche
Stimme verkündete: »Wir haben den Halter.« Sie nannte vorab noch einmal das
Kennzeichen und den Wagentyp, dann einen Namen, bei dem Wolf erst mal zischend
die Luft ausstieß. Während er das Handy wieder einsteckte, bildete sich auf
seiner Stirn eine steile Falte. Unschlüssig sah er zu Marsberg hinüber.
»Das hältste im Kopf nicht aus. Was denkst du, wem die
Karre gehört?«
»Bin ich Jesus?«
»Schubeck!«
»Hajeks Kollege?«
»Ja.«
»Na, wenn das nicht zum Himmel stinkt!«
10
Wolf war sauer. Warum tat er sich das an –
in seinem Alter? Warum quittierte er nicht endlich den Dienst, überließ das
Feld jüngeren, ehrgeizigeren Kollegen? Er hatte eine ausgesprochen scheußliche
Nacht hinter sich, und der neue Tag schien unter keinem besseren Stern zu
stehen.
Nach seiner Rückkehr vom Tatort hatte er sich noch
etwa zwei Stunden in unruhigem Dämmerschlaf hin und her gewälzt, immer wieder
von kurzen, wirren Traumsequenzen gepeinigt. Gegen sechs stieg er mit
hämmernden Schläfen aus den Federn und setzte einen starken Kaffee auf. Während
das heiße Wasser fauchend in den Filter lief, ging er kurz unter die Dusche,
vollzog eine Schnellrasur und kleidete sich an. Nachdem er seine Küche ohne
Erfolg nach etwas Brotähnlichem durchkämmt hatte, schlürfte er den heißen
Kaffee solo in sich hinein und stellte die leere Tasse zu dem ansehnlichen Berg
ungespülten Geschirrs. Dann fütterte er seine Katze, fuhr sich mit dem Kamm
flüchtig durch die Haare und warf zuletzt einen prüfenden Blick in den Spiegel,
um endlich das Haus zu verlassen. Zum Glück hatte er heute den Dienstwagen. Das
hätte noch gefehlt, dass er an einem Morgen wie diesem mit dem Fahrrad nach
Überlingen strampeln müsste, wo selbst der starke Kaffee gegen das Pochen in
seinen Schläfen nicht viel auszurichten vermochte. Sicherheitshalber nahm er
noch eine Schmerztablette – oder nein: lieber gleich zwei!
Als er sich in den Wagen setzte, sah er kurz auf die
Uhr; erst sieben. In längstens einer Viertelstunde würde er am Krankenhaus sein – verdammt früh für eine Aufwartung, die Schwestern würden ihn sicher hochkant
hinauswerfen. Würden sie? Sie sollten es ruhig versuchen, da kämen sie heute
gerade an den Richtigen, schließlich wollte er keine Genesungswünsche
überbringen! Er hatte eine Mordserie aufzuklären – und vor allen Dingen einen
weiteren Mord zu verhindern!
Er schlug den Weg Richtung Überlinger Innenstadt ein,
bog dann am Stadtrand, kurz vor dem Bahnübergang, rechts ab, um über die
Sankt-Ulrich-Straße auf die Wiestorstraße zu gelangen, der er ein Stück weit
folgte. Nachdem er auf diese Weise die enge Altstadt umfahren hatte, folgte er
der beim Franziskanertor stadtauswärts führenden Aufkircher Straße, über die er
in wenigen Minuten den weitläufigen Komplex des am nördlichen Stadtrand
angesiedelten Überlinger Krankenhauses erreichte.
Seinen Wagen stellte er bewusst in einiger Entfernung
vom Zentraleingang ab. Die paar Schritte zu Fuß konnten ihm nur guttun, und
Niederschlag war nicht zu befürchten, vereinzelt spickte sogar schon schüchtern
eine blasse Morgensonne durch die löchrige Wolkendecke. Da er außerhalb der
Besuchszeit kam, musste er sich zunächst am Auskunftschalter ausweisen, ehe ihm
eine Angestellte Pohls Zimmernummer nannte und den Weg dorthin beschrieb.
Keuchend nahm er die Treppe in den zweiten Stock, immer wieder eine Pause
einlegend, um das Hämmern in seinen Schläfen nicht überhandnehmen zu lassen.
Vor Pohls Zimmer saß ein uniformierter Polizist auf
einem hölzernen Stuhl und sah ihm gelangweilt entgegen. Wolf konnte es ihm
nicht verdenken: Sein wenig aufregender Dienst dauerte nun schon einige Stunden,
und nur der Himmel wusste, wann er abgelöst wurde. Polizistenschicksal! Nicht
viel anders war
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