Seefeuer
zunächst
einen viereckigen schwarzen Lederkoffer in Empfang – vermutlich Pohls Jagdhorn – und half danach mit der freien Hand dem Anwalt beim Aussteigen.
Wie angekündigt trug Pohl einen breitkrempigen
Jägerhut aus braunem Wildleder, darunter einen grünen Lodenanzug. Die
Achselklappen der Jacke waren mit braunem Flechtwerk besetzt, desgleichen die
Hornknöpfe. Seinen Hals zierte ein dezent gemustertes Seidentuch, das den
Verband im Nacken geschickt verdeckte. Pohls Füße staken in braunen
Wildlederstiefeln, deren Schaft auf halber Höhe umgeschlagen war. Er wirkte –
trotz kugelsicherer Weste – etwas schlanker als sonst.
Pohl hatte dem Taxifahrer den Koffer abgenommen und
ihm einen Geldschein in die Hand gedrückt. Er ging die wenigen Schritte zur
Pforte und öffnete das schmiedeeiserne Tor. Gleich darauf war er aus Wolfs
Blickfeld verschwunden, das Bild war dasselbe wie zuvor. Passanten, die
Besorgungen erledigten oder zum Promenadenfest strömten, ihren Hund spazieren
führten oder ein Schwätzchen hielten. Kurz: emsiges Treiben, so weit das Auge
reichte – und weit und breit nichts, das den Frieden störte.
Doch Wolf ließ sich davon nicht täuschen. Zwar konnte
Pohl im Turm selbst nach menschlichem Ermessen nichts passieren, da hatten sie
vorgesorgt. Was aber, wenn er mit seinem Jagdhorn oben an der Balustrade stand
und seine Stücke blies? Und nach seinem Auftritt, wenn er den Turm wieder
verließ und die Rückfahrt antrat? Das waren die wirklich kritischen Momente.
Natürlich würden sie Pohl, sobald er wieder im Taxi saß, auf Schritt und Tritt
begleiten und vermutlich durch bloße polizeiliche Präsenz einen erneuten
Anschlag verhindern. Damit wäre jedoch der ganze Aufwand für die Katz gewesen.
Die Kunst – gleichzeitig aber auch das Risiko – bestand ja gerade darin, Pohl
scheinbar ungeschützt in der Öffentlichkeit zu präsentieren, um so den
geheimnisvollen Täter aus der Deckung zu locken und ihn auf frischer Tat
festnehmen zu können.
Eben wollte Wolf seine Gitanes aus der Tasche ziehen,
als Marsberg überrascht auf den Platz vor ihnen zeigte. »Was ist denn das? Sieh
dir mal diesen Haufen an, Leo.«
Wolf blickte in die angegebene Richtung. Was er sah,
war überaus erstaunlich. Von links, vom Rathaus her, schwenkte soeben eine
Gruppe bunt gekleideter Landsknechte, mit langen Hellebarden bewaffnet, auf den
Münsterplatz ein und marschierte im Gleichschritt unter den gotischen Fenstern
des Chores entlang, direkt auf die Turmpforte zu. Der bunte Haufen, bestehend
aus sechs Mann und einem vorausmarschierenden Führer, machte auf ein Kommando
an der Turmpforte halt. Wer waren diese Leute? Wieso tauchten sie gerade jetzt
und gerade hier auf? Und wieso wurde Wolf das unbestimmte Gefühl nicht los, den
Fähnleinführer schon einmal gesehen zu haben? Schon wurden die Passanten
aufmerksam, einige blieben stehen und hatten ganz offensichtlich Freude an dem
Spektakel. Fahrig nahm Wolf das gedruckte Festprogramm zur Hand und fuhr die
einzelnen Punkte mit dem Finger ab. »Nichts«, sagte er, »hier steht nichts von
Landsknechten! Wieso hat man uns davon nicht verständigt, verdammt noch mal?«
Wolfs Ohrhörer rauschte, Jo war in der Leitung: »Chef,
können Sie diese Uniformierten sehen? Was sollen wir tun?«
»Abwarten«, knurrte Wolf. »Auf keinen Fall in den Turm
lassen.«
»Verstanden!«
Abermals ertönte ein lautes Kommando, die Hellebarden
wurden abgesetzt, es folgte ein zackiges »Links um!« mit nachfolgendem
Ausrichten, während der Fähnleinführer durch die Pforte trat und hinter der
hölzernen Abschirmung verschwand.
Es dauerte keine zwei Sekunden, da erschien er,
rückwärts gehend und mit den Armen wedelnd, bereits wieder im Blickfeld der
Polizisten, gefolgt von einem sichtlich aufgebrachten Hartmut Preuss, der den
unwillkommenen Besucher rigoros auf den Platz zurückdrängte.
Ob die Landsknechte nun ihren Anführer in Gefahr
wähnten oder dem Ganzen ein Plan zugrunde lag, war in diesem Augenblick schwer
auszumachen. Jedenfalls verwandelte sich ihre bislang streng militärische
Ordnung binnen Sekunden in blankes Chaos: Wie auf ein geheimes Kommando
umringten die bunten Gestalten Preuss und gebärdeten sich, als müssten sie
ihren Hauptmann den Klauen eines ungebärdigen Feindes entreißen.
»Jo, nimm dir zwei Mann und komm Preuss zu Hilfe«,
bellte Wolf in sein Mikro.
Inzwischen hatten die Passanten an dem Hin und Her
Gefallen gefunden. Im Nu umringte eine größere Menge
Weitere Kostenlose Bücher