Seefeuer
Tammys Bruder
war außer Gefecht.
In diesem Augenblick traf auch Jo auf der Plattform
ein. Mit einem Blick überflog sie die Lage. Dann ging sie auf den schwer
atmenden Mann in der Jägerkluft zu und warf einen Blick auf seinen geschundenen
Hals. »Ab heute hast du etwas gut bei uns, Kollege Bauer«, sagte sie sichtlich
erleichtert. »Ewig schade, dass Pohl nichts von der Komödie weiß.« Dann wandte
sie sich zu Wolf um: »Ohne Ihre Idee, dem Täter einen Pohl-Verschnitt zu
servieren, wäre der Anwalt jetzt vielleicht schon in den ewigen Jagdgründen,
Chef. Gratuliere.«
»Würde eher sagen, wir haben Glück gehabt«, brummte
Wolf. Er bückte sich, hob den zu Boden gefallenen Jägerhut auf und setzte ihn
dem erleichtert grinsenden Bauer aufs Haupt. »Wenn man von seinem Skalp
absieht, kann er leicht als Pohl durchgehen, oder?«, frotzelte er. »Den Täter
jedenfalls hat er gekonnt getäuscht.«
Die Anspannung der letzten Minuten löste sich, einer
nach dem andern begann zu lachen. Auch Marsberg, der in der Zwischenzeit den
Landsknecht durchsucht und eine Schusswaffe aus dessen Gürtel gezogen hatte,
zwang sich zu einem Lächeln. Als das Stichwort »Täter« fiel, zog Preuss den
außer Gefecht gesetzten Philip Reich hoch und übergab ihn Jo. »Wohin mit ihm?«,
fragte sie.
»Zum Einsatzwagen«, ordnete Wolf an.
»Und den hier ebenfalls«, fügte Marsberg hinzu und
schob den Landsknecht vor sich her. Dann prüfte er die requirierte Waffe.
»Volles Magazin. Hätte ein schönes Feuerwerk anrichten können.«
Wolf
konnte es noch immer nicht fassen: Philip Reich sollte ihr Mann sein? Das kam
mehr als überraschend. Sicher, sie hatten Philip in den letzten Tagen mehrfach
im Visier gehabt, zeitweise sprach sogar ein ganzes Bündel von
Verdachtsmomenten gegen ihn. Vor allen Dingen hatte er, was anderen
Verdächtigen abging, nämlich ein Motiv. Doch bislang hatten sie ihm nicht das
Geringste nachweisen können, und seit er Hajeks Drogengeschäfte aufgedeckt
hatte, war Wolf überzeugt gewesen, dass die Anschuldigungen haltlos sein
mussten.
Was soll’s, dachte er, jetzt waren Staatsanwaltschaft
und Gerichte am Zug. Für ihn jedenfalls war der Fall gelöst, er konnte endlich,
endlich aufatmen: Die Serie war durchbrochen, ein fünfter Mord in letzter
Sekunde vereitelt worden. Und sie hatten endlich den Täter!
Blieb nur noch die Rolle dieses Landsknechtshaufens zu
durchleuchten, der es Philip Reich überhaupt erst ermöglicht hatte, auf die
Turmplattform vorzudringen. Konnte es sein, dass die Leute mit Philip unter
einer Decke steckten? Schließlich war einer von ihnen mit hochgestiegen. Wenn
die beiden nicht zusammenarbeiteten, was hatte der Mann dann dort zu suchen?
War er etwa … nein, das klang zu seltsam. Wolf verwarf den Gedanken, kramte ihn
dann erneut hervor: Konnte es sein, dass der Mann nicht etwas gegen , sondern für Pohl tun
wollte? Dass er sich in Wirklichkeit zu Pohls Schutz am Tatort aufhielt? Fragen
wie diese würden sich hoffentlich schnell klären lassen, wenn sie die beiden
Männer erst mal zum Verhör ins Dezernat gebracht hatten.
Beim
Verlassen des Turmes traf Wolf auf Hartmut Preuss. »Hast du das Turminnere noch
einmal überprüft, insbesondere das Glockengestühl?«, fragte Wolf.
Preuss klopfte mit der rechten Hand auf die Stablampe,
die aus einer Außentasche seiner Diensthose ragte. »Alles genau durchleuchtet.
Philip Reich hat nichts deponiert oder manipuliert. Dazu hatte er eigentlich
auch gar keine Zeit.«
»Gut, dann kann der richtige Pohl jetzt antanzen.«
»Wenn man vom Teufel spricht …«, antwortete Preuss und
wies auf das soeben heranfahrende Taxi. Diesmal entstieg ihm der echte Pohl. Er
entlohnte den Fahrer und nahm von einem von Wolfs Mitarbeitern den
quadratischen schwarzen Lederkoffer mit seinem Jagdhorn entgegen.
»Na, alles in Ordnung?«, fragte er die Polizisten
missgelaunt und sah sich unsicher um.
»Sie können Ihr Ding wie geplant durchziehen, Dr.
Pohl.« Nach einer kleinen Kunstpause fügte er hinzu: »Wir haben den Täter.«
Pohl fuhr herum. »Sie haben was? Dann hat Ihre Finte
also funktioniert, sozusagen?« Der Anwalt schien verblüfft. »Und, wer ist es?«
Gespannt wartete er auf Wolfs Antwort.
»Tut mir leid, Herr Dr. Pohl, als Anwalt wissen Sie
ja, wie das läuft. Keine Auskünfte vor der erkennungsdienstlichen Behandlung
des Täters und der näheren Überprüfung der Tatumstände. Sie werden es noch früh
genug erfahren.« Soll der windige Kerl noch eine
Weitere Kostenlose Bücher