Seefeuer
lösen.
Wieder einmal erwies es sich als äußerst belastend, zwei Fälle auf einmal am
Hals zu haben. Es war wie bei der alten Geschichte von den Bällen: Solange man
nur einen zugeworfen bekommt, wird man ihn fangen; fliegen einem aber zwei
Bälle zu, bekommt man keinen von beiden.
Niemand konnte eben zwei Herren gleichzeitig dienen.
Seufzend drückte er die halb gerauchte Zigarette aus und öffnete das Fenster,
um frische Luft hereinzulassen.
Pünktlich
um halb neun war Jo zur Stelle, in ihrem Schlepptau der hakennasige Vögelein.
Sein triefendes Riechorgan schien inzwischen eingetrocknet zu sein. Dafür hatte
er einen dicken Wollschal um den Hals gewickelt.
Wie ein Hund, der Witterung aufnimmt, schnupperte er
in den Raum hinein. »Sie rauchen, Herr Hauptkommissar?«, fragte er plötzlich in
wehleidigem Ton.
Wolf ritt der Teufel. »Auch eine?«, fragte er und zog
seine Glimmstängel aus der Tasche.
»Nein, vielen Dank. Für Sterbehilfe dieser Art hab ich
absolut nichts übrig. Bei dieser Gelegenheit muss ich Ihnen sagen, dass mir
mein Arzt auch Passivrauchen verboten hat, und zwar strengstens!«
»Wenn das so ist, schlage ich vor, du machst dich
derweil mit deinem PC vertraut, während wir die
anstehenden Fälle besprechen«, antwortete Wolf ungerührt.
Es dauerte einige Sekunden, bis sich Vögelein von
seiner Verblüffung erholt hatte. Wolf konnte seine Gefühlslage nachempfinden:
Da bekam man auf der Polizeischule in Freiburg die hehren Grundsätze des
kooperativen Führungsstils eingetrichtert – und dann dieses rüde Abkanzeln. Man
sah Vögelein an, dass er nach einer geharnischten Antwort suchte.
Marsbergs Eintreffen verhinderte die drohende
Eskalation. »Entschuldige, Leo, der Staatsanwalt hat mich aufgehalten. Musste
mir den Mund fusselig reden, und das wegen eines läppischen Antrags auf einen
Haftbefehl.« Er nickte den beiden anderen zu und warf sich in den einzigen noch
freien Stuhl. Offenbar hatte Jo den Neuen bereits mit Marsberg bekannt gemacht.
Wolf hatte den Zwist mit Vögelein bereits vergessen
und fasste als Erstes mit knappen Worten die Ereignisse in Ludwigshafen
zusammen, wobei er nicht vergaß, auf das insgesamt dürftige Ermittlungsergebnis
bei dem Fall hinzuweisen. Bereits der vierte Brand und weit und breit kein
Täter oder Motiv in Sicht.
»Ist der Bericht des Brandsachverständigen schon da?«,
wollte Marsberg wissen.
Jo verneinte.
»Und dieser Schiffsbesitzer … wie war doch gleich sein
Name … Züngli? So kann auch nur ein Schweizer heißen! Habt ihr den inzwischen
vernehmen können?«
»Ist nicht ansprechbar, der Mann liegt im Koma. Die
Ärzte sind skeptisch«, gab ihm Jo Bescheid.
»Hab ich das recht verstanden?«, meldete sich Vögelein
zu Wort. »Jemand hat auf dem Schiff Feuer gelegt – wenigstens nach vorläufiger
Aussage der Feuerwehr. Falls wir daraus ableiten, dass dieser Jemand mit dem
Brandanschlag eher diesen Züngli als das Schiff treffen wollte: Müssten wir
dann nicht eine Wache vor den Eingang zur Intensivstation setzen? Ich meine,
der Täter könnte vielleicht auf dumme Gedanken kommen, wenn er erfährt, dass
sein Opfer womöglich bald wieder reden kann.«
Hoppla, dachte Wolf, dieser Vögelein schien ja
mitzudenken. Selbst Jo hatte die Ohren gespitzt. So abwegig war der Gedanke
nicht. »Klingt irgendwie logisch«, erwiderte Wolf nach kurzer Bedenkzeit. »Eine
Gefährdung des Schweizers, denke ich, können wir im Moment aber ausschließen.
Zwar wissen wir nicht, ob der Schiffsbrand zu der Brandserie der letzten Tage
gehört, die sich, nur am Rande bemerkt, in keinem einzigen Fall gegen Personen
richtete. Doch selbst wenn Züngli im Visier der Täter sein sollte, dann werden
sie ihn wohl kaum im Überlinger Krankenhaus suchen. Opfer mit derart starken
Verbrennungen werden in aller Regel in eine Spezialklinik geflogen, zum
Beispiel nach Ludwigshafen am Rhein. Dass Züngli im Augenblick nicht
transportfähig ist, können sie ja nicht wissen.«
»Trotzdem: Sollte es einer auf ihn abgesehen haben,
kriegt er auch den Aufenthaltsort heraus«, beharrte Vögelein mit belegter
Stimme und wickelte sich dabei den Schal noch etwas fester um den Hals.
Herausfordernd sah er sich in der Runde um.
Läuft ja besser als erhofft, dachte Wolf. Er tat, als
müsse er sich das durch den Kopf gehen lassen. »Also gut. Du kümmerst dich bis
auf Weiteres um diesen Fall. Lass dir nachher von Jo die Details verklickern.
Damit kommen wir zu Fall Nummer zwo, der toten Taucherin
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