Seegrund
tief durch und begann zu sprechen, wobei er die Hand schützend vor die Sprechmuschel hielt.
Etwas Schreckliches sei passiert, flüsterte er in den Hörer. Er sei aufgeflogen, was sie jetzt machen sollten, wie es weitergehe, was …
Das Wort wurde ihm abgeschnitten. Er hörte angestrengt zu, nickte bisweilen oder brummte bestätigend in den Hörer.
Viel schlimmer, sagte er schließlich lauter, als er es gewollt hatte, und blickte sich erschrocken im Laden um, doch niemand beachtete ihn. Er sei nicht nur einfach so aufgeflogen, er sei halbtot,flüsterte er wieder. Man müsse Hans Bescheid sagen, der wisse immer, was zu tun sei. Und sie müssten sich unbedingt treffen, so schnell wie möglich.
Wieder schwieg er eine Weile, dann schüttelte er heftig den Kopf: Nein, ein Unfall sei es gewiss nicht gewesen, so wie der Polizist reagiert habe, vermute der ein Verbrechen. Er lachte erst bitter auf, dann senkte er noch einmal die Stimme und hauchte kaum hörbar: Er wisse es, weil er es benutzt habe.
Dann seufzte er und sagte: Genau. Das Zeichen!
Sie hatten sich darauf verständigt, zum Alatsee zu fahren, wo sie den Unbekannten gefunden hatten. Friedel Marx hatte zwar den Vorschlag gemacht, zunächst zurück ins Büro zu fahren, aber Kluftinger hatte sich durchgesetzt. Er wollte in dem Restaurant am See nachfragen, ob irgendjemand etwas Ungewöhnliches beobachtet habe. Jetzt saßen sie still im Auto. Kluftinger zufrieden, Marx beleidigt. Diesen Eindruck hatte jedenfalls Strobl, der ebenfalls schwieg, weil er das Gefühl hatte, jeglicher Kommentar könnte ihm als Parteinahme für die eine oder andere Seite ausgelegt werden. Er befürchtete, dass sich zwischen Kluftinger und der Füssener Beamtin ein handfester Streit entwickelte, der ihm persönlich zwar egal war, der aber die Arbeit unnötig erschweren würde.
Sie bogen von der Hauptstraße etwas oberhalb des neuen Füssener Grenztunnels ab und fuhren die schmale Straße in Richtung Alatsee. Strobl konnte sich nicht erinnern, schon einmal hier gewesen zu sein. Dabei war er im Sommer an vielen Seen im Allgäu zu finden, meist mit dem Fahrrad, denn er und seine Frau waren sehr sportlich und nutzten jede sich bietende Gelegenheit, mehr von ihrer Heimat zu erkunden. Doch an den Alatsee hatte es ihn noch nie verschlagen. Das wunderte ihn eigentlich, denn der See galt als einer der schönsten im weiten Umkreis. Manche aber sprachen auch anders über das Gewässer. Dunkle Geheimnisse sollten sich in den Tiefen verbergen, unerklärliche Vorkommnisse hätten dort immer wieder die Leute verschreckt und auch das Wasser sei anders als in anderen Seen.
»Kannst gleich da vorne parken«, sagte Kluftinger und vertrieb Strobls düstere Gedanken.
Kluftinger fröstelte, als sie aus dem Auto stiegen und auf das Ufer zuliefen. Er stemmte seine Hände regelrecht in die Taschen und fragte sich, warum es ihm heute so viel kälter als gestern vorkam. Während sie gingen, wanderte sein Blick unweigerlich wieder in Richtung der Stelle, an der er mit dem verletzten jungen Mann allein gewesen war. Auch einen Tag später war er noch erleichtert, dass es sich nicht um eine Leiche gehandelt hatte.
Plötzlich stutzte er. Er blieb stehen und kniff die Augen zusammen.
»Ist was, Kollege?«, raunzte ihm die Marx zu, die mit Kluftinger zusammenstieß, weil sie ihren Kopf als Schutz vor dem Schnee, der seit gestern Nacht unaufhörlich fiel, gebeugt hatte.
Er schüttelte den Kopf: »Geht ihr mal vor, ich hab noch was vergessen.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er hatte etwas gesehen und wollte dieser Sache kurz nachgehen, hatte aber keine Lust, seinen Kollegen – vor allem seiner Kollegin – zu erklären, worum es sich handelte. Denn wenn er sich irrte, würde er am Schluss nur dumm dastehen. Er wartete also, bis die beiden an der Weggabelung in Richtung Gasthaus abgebogen waren. Dann lief er los. Allerdings in die entgegengesetzte Richtung wie die anderen. Genau auf das zu, was er gerade entdeckt hatte: Er ging langsam auf den Rauch zu, der aus dem Wald aufstieg, unweit der Stelle, an der sie den Mann gefunden hatten. Sollte sich da jemand aufhalten? Vielleicht schon gestern aufgehalten haben?
Er folgte der kleinen Rauchwolke, passierte die Fundstelle, warf einen kurzen Blick darauf und ging dann hastig weiter, bog um ein paar Bäume, die in den Weg hineinragten – und blickte direkt auf eine kleine Holzhütte, die sich dort an den Waldrand schmiegte. Aus einem Ofenrohr quoll weißer
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