Seegrund

er das Gleiche beim Doktor machte – mit einem Zaunpfahl.
    Während der gesamten Untersuchung gab Langhammer immer wieder Geräusche von sich: »Tststs«, zischte er, schüttelte den Kopf und machte ein ernstes Gesicht. Von Zeit zu Zeit entfuhr ihm auch ein »O-o« oder »M-hm, m-hm«. Mit großen Augen starrte der Kommissar den Mediziner an. Hatte er doch etwas Ernstes? Tatsächlich hatte er sich heute außergewöhnlich schlapp gefühlt.
    »Wach ich geng?«, fragte er kaum verständlich, da der Doktor noch immer mit dem Stäbchen in seinem Mund herumfuhrwerkte.
    »Nun, Ihre Mandeln sind scharlachrot. Noch sehe ich keinen Eiter, aber die nächste Streptokokke, die vorbeikommt, wird dafür sorgen. Ich kann aber insgesamt noch nichts Genaues sagen, ich müsste Sie erst noch abhören«, erwiderte der Arzt und zog das Stäbchen heraus.
    »Wenn Sie sich bitte mal freimachen würden. Oberkörper genügt.«
    Seufzend begann Kluftinger, sein Hemd aufzuknöpfen. Als er es abgelegt hatte, schaute er den Doktor fragend an, worauf dieser seine Augenbrauen hochzog und auf das Unterhemd starrte, das der Kommissar schließlich auch noch auszog. Jeglicher Selbstachtung entkleidet, ließ er sich wieder auf die Kloschüssel nieder und harrte der Dinge, die dieser furchtbare Tag noch für ihn bereithalten würde. Langhammer presste den metallenen Kopf seines Stethoskops unterhalb der Schulter auf den Rücken seines Patienten. Als Kluftinger das eiskalte Metall auf seiner Haut spürte, zuckte er derart zusammen, dass ihm ein spitzer Schrei entfuhr, worauf sich Langhammer ebenfalls erschrocken die Enden des medizinischen Geräts aus den Ohren riss.
    »Ist bei euch alles in Ordnung?« Erika klopfte besorgt an die Tür.
    »Kein Grund zur Sorge«, beruhigte Langhammer. »Dein Mann scheint nur etwas hypermotorisch veranlagt.«
    Kluftinger spannte die Kiefermuskeln an. Wenn das nun eine Beleidigung gewesen war, was er mit einem Blick ins Fremdwörterlexikon noch heute Abend klären wollte, dann würde der Doktor ihn mal richtig kennen lernen.
    »So, ich muss Sie noch schnell abklopfen, dann haben wir’s.« Der Doktor ging in die Hocke, legte eine seiner eiskalten Hände auf Kluftingers Rücken und hieb mit der anderen darauf. Er tat das mit einer solchen Wucht, dass Kluftinger in einem Reflex seinen Ellenbogen nach hinten rammte. Von dem Stoß überrascht verlor Langhammer das Gleichgewicht, fiel zurück, schmiss mit rudernden Armen die Klobürste um und landete auf dem Hosenboden.
    Der Doktor sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Er musste sich erst ein wenig sammeln, dann zischte er: »Was sollte das denn jetzt?«
    »Sie haben doch angefangen mit dem Hauen«, fauchte Kluftinger zurück.
    »Entschuldigung, das gehört zu den gängigen Methoden medizinischer Diagnostik!«
    »Dass man auf seinen Patienten eindrischt wie ein Viehdoktor?«
    Es entspann sich ein Wortgefecht, in dem Begriffe wie »Metzger« und »Grobmotoriker« einerseits, »Mimose« oder »Sensi belchen« andererseits fielen. Als sich ihre Gemüter wieder beruhigt hatten, startete der Doktor einen neuen Versuch.
    »Ich werde diesmal ganz sanft sein«, versprach der Arzt, und die Art wie er es sagte und vor allem die Verwendung des Wortes »sanft« im Zusammenhang mit der körperlichen Nähe und Kluftingers Blöße jagten dem Kommissar Schauer über den Rücken. Als der Arzt ihm nun noch einmal – zugegeben etwas sensibler – die kalte Hand auf den Rücken legte, bekam der Kommissar eine Gänsehaut, die sich von seinem Nacken bis zum rechten Handgelenk zog.
    Das bemerkte auch der Doktor: »Oho, mein Lieber, jetzt scheint es Ihnen ja richtig zu gefallen«, kommentierte er in anzüglichem Tonfall.
    Damit war Kluftingers letzte Grenze überschritten. Er stand so ruckartig auf, dass der Doktor noch einmal fast das Gleichgewicht verlor, griff sich sein Unterhemd, zog es sich über den Kopf und raunzte Langhammer dann an: »Untersuchung beendet. Und jetzt geben Sie mir gefälligst dieses Medikament, sonst spritz ich mir selber was aus ihrem Koffer. Und was das hier alles betrifft …«, er machte eine unbestimmte Handbewegung, »so unterliegt das ja alles Ihrer Schweigepflicht und wir reden nie wieder darüber.«
    Zerknirscht und vom Ausbruch des Kommissars etwas eingeschüchtert reichte Langhammer ihm die Arznei. Zögernd drückte er ihm auch noch einen kleinen Zettel in die Hand. »Hier sind noch ein paar … Übungen«, sagte er.
    Verwirrt guckte der Kommissar auf das