Seehaie
light nachspülte.
»Hast du dir eigentlich Jeannes Anschrift geben
lassen?«, fragte Wolf kauend.
»Aber Chef, wer wird denn mit vollem Munde sprechen?«,
tadelte Jo gleichermaßen undeutlich und legte einen Zettel mit den gewünschten
Angaben vor ihn hin.
»Sehr gut. Und was haltet ihr von der Vorstellung eben
bei Starek?«
Jo ließ Kalfass den Vortritt. »Also, wenn ich diesen
Gangster nicht so gut wie sicher an dem Kran gesehen hätte, würde ich ihm seine
Geschichte glatt abkaufen, Chef.«
»Aber eben nur so gut wie!«
»Er stand immerhin dreißig Meter von uns weg, und Sie
wissen ja, dass das Augenlicht meine einzige Schwäche ist. Oder denken Sie, ich
trage Fensterglas in meiner Brille?«
»Ja, ja, Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter
kommt man ohne ihr«, knurrte Wolf halblaut vor sich hin.
Minderwertigkeitsgefühle waren das Letzte, worunter Kalfass litt. So überzeugt
wie eben hatte er seine Selbstüberschätzung bisher selten zum Ausdruck
gebracht. »Sein Alibi lässt sich also nicht so ohne Weiteres aus der Welt
schaffen – oder was meinst du, Jo?«
»Man könnte es ja mal versuchen.«
»Dann tu’s.« Wolf ging noch einmal zu dem
Imbissbesitzer und besorgte drei neue Colas. Das Gesöff war pappig süß und
schrecklich ungesund, aber bei diesen Temperaturen zumindest vorübergehend
erfrischend. »Wenn wir das Alibi der Prechtl knacken können, dann haben wir ihn
am Wickel.«
»Denken Sie, er hat uns die Wahrheit über seinen Job
erzählt? Über Maywaldt und so?«
»Klang zumindest glaubwürdig. In diesem Moment hatten
wir ihn in der Defensive, da hat er sicher nicht geflunkert. Trotzdem war es
wohl nur die halbe Wahrheit.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Vergiss es. Ich tappe genauso im Dunkeln wie ihr«,
seufzte Wolf ergeben.
Auf dem Weg zu ihrem Auto fuhr ein Geländewagen an
ihnen vorbei. Am Steuer saß Bauleiter Wiegand. Wolf war ganz sicher, dass er
sie erkannt hatte. Trotzdem hatte er keine Miene verzogen und stur geradeaus
geblickt.
»Verstehen Sie das?«, fragte Kalfass, der ihn
ebenfalls erkannt hatte.
»Zumindest deckt es sich mit deiner Erfahrung von
heute Mittag. Vermutlich hat er Order bekommen, nach Möglichkeit jeden Kontakt
zu uns zu meiden. Das würde jedenfalls seine Feindseligkeit erklären.«
***
Es
war fast sieben, als sie am »Aquarium« eintrafen. Während Jo und Kalfass auf
dem Parkplatz ihre Autos bestiegen, ging Wolf zum Treppenhaus. Er wollte noch
einen Blick auf seinen Schreibtisch werfen und seine Mails durchsehen. Etwas
außer Atem erreichte er den zweiten Stock.
Als er die Tür vom Treppenhaus zum Flur öffnete, bekam
er gerade noch mit, wie eine dunkel gekleidete, hochgewachsene Gestalt in
Patzlaffs Büro verschwand. Mich laust der Affe, dachte er – das war doch
Hayder, Hohmanns Anwalt. Was hatte der um diese Zeit bei Patzlaff zu suchen?
Noch während er sich darüber den Kopf zerbrach, kam der Kriminalrat
höchstpersönlich aus der schräg gegenüberliegenden Teeküche, ein Tablett mit
zwei gut gefüllten Tassen balancierend. Als er Wolf erblickte, blieb er
überrascht stehen.
»Sie kommen wie gerufen, Wolf. Was macht Ihr Fall? Ich
höre, Sie haben jetzt einen Mann im Visier, der auf eigene Rechnung arbeitet
und nicht zu dem bislang verdächtigten Unternehmen gehört. Da könnten Sie auf
dem richtigen Weg sein. Weiter so!«
Klang das nicht eine Spur zu euphorisch, um nicht zu
sagen erleichtert? Weshalb aber sollte Patzlaff erleichtert sein? Woher wusste
er überhaupt von den Ermittlungen gegen Starek? Bisher war darüber noch nichts
über die Räume des D1 hinausgedrungen. »Ich denke, die Spur könnte Erfolg
versprechend sein, Herr Kriminalrat. In ein, zwei Tagen wissen wir mehr.«
»Wie gesagt, weiter so! Ich habe leider Besuch, also
bis morgen.«
Wolf erbot sich, ihm die Tür zu öffnen, doch Patzlaff
schüttelte heftig mit dem Kopf. Ganz offensichtlich wollte er vermeiden, dass
Wolf etwas von seinem Besucher mitbekam – selbst auf die Gefahr hin, die Hälfte
des Kaffees zu verschütten.
Wenn du wüsstest, dachte Wolf und ging weiter.
Eine
Stunde später traf er in Nussdorf ein. Er stellte sein Fahrrad in die
Tiefgarage und schloss es ab. Während der Heimfahrt hatte er sich bewusst Zeit
gelassen, schließlich trieb ihn ausnahmsweise einmal nicht der Hunger heim.
Zudem blies hier unten am See ein angenehm frisches Lüftchen, und bis
Sonnenuntergang war es noch eine Weile hin.
Er ging die Treppe zu seiner Wohnung hinauf
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