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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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sein
dürften
. Sobald wir mitkriegen, dass wir Schwestern haben könnten,
aber keine haben
und dass wir unsere Mums und Grandmas nur ’nem Hexenwerk verdanken …» Ungeduldig schüttelte er den Kopf in meine Richtung, dann wartete er, dass seine Augen der Bewegung folgten. «Ich versteh sowieso nicht, warum alle so ’n Theater drum machen», fügte er plötzlich gereizt hinzu. «Wer braucht schon Mädchen? Wozu sind die überhaupt gut?»
    «Ich weiß nicht», sagte ich. «Außer Trudles Töchtern hab ich noch keins kennengelernt.» Nun ja, da war das Mädchen aus Knocknee mit der feuerroten funkelnden Mähne und dem neugierigen Blick gewesen, mit dem sie mich von oben bis unten gemustert hatte. Aber ich konnte nicht behaupten, sie richtig zu kennen.
    «Und dann auch noch als Babys? Gott, wenn ich an das letzte denke! Hat Tag und Nacht nur geschrien, bis Mum sie runtergebracht hat. Dad war genauso froh wie ich, als wir sie los waren und das Geschrei vorbei war. Danach konnten wir endlich mal wieder schlafen.»
    In unserer geschützten Nische lauschten wir seinen herzlosen Worten. Dann zog er den Korken mit einem
Doink!
erneut aus der Flasche, hielt sie mir unter die Nase und drängte mich, halb entschuldigend, halb herausfordernd, mehr zu trinken.
    Der zweite Schluck war schon etwas weicher; er linderte die Auswirkungen des ersten. Während ich Toddys Kehlkopf bei seinem nächsten Zug hüpfen sah, ermahnte ich mich im Stillen, nicht gleich den nächsten Schluck zu nehmen. Es war einfach zu verführerisch, zu angenehm wärmend bei der Kälte. Noch mehr davon, und ich würde Toddy Marten beipflichten, würde jedem Toddy Marten in diesem Dorf beipflichten, würde alles über meine Mum ausplappern – wie sie in ihrem Zimmer allein unter der Seetangdecke lag und wie hilflos wir mit unseren Hilfsangeboten dastanden, obwohl wir jedes erdenkliche Heilmittel ausprobiert hatten, wie
schwer
das alles zu ertragen war und was für eine große Bürde Frauen doch waren, oder?
    Nach dem dritten Schluck schaffte ich es, mit dem Trinken aufzuhören; ich leistete Toddy nur noch Gesellschaft, während er sich zukippte, und hielt ihn davon ab, sich in einen allzu üblen Zustand zu bringen. Sobald er wieder ansatzweise stehen konnte, half ich ihm auf und schleppte ihn nach Hause.
    Als wir vor seiner Haustür ankamen, sagte er mit hängendem Kopf: «Geh einfach rein. Brauchen gar nicht erst zu versuchen, meine Mum zu wecken.»
    Ich ließ ihn eingerollt in einem Sessel im Wohnzimmer zurück, stellte ihm ein Glas Wasser hin und eine Schüssel, falls er sich übergeben musste. Das Haus roch genau wie unseres, als hätte säuerlich kalter Meeresnebel es bis auf die Knochen durchdrungen. Ich war erleichtert, dass ich es verlassen konnte, ebenso erleichtert, wie ich gewesen war, meinem eigenen zu entkommen.
    Ich stieg den Hügel hinauf, weil ich nicht mit einer Schnapsfahne nach Hause zurückkehren wollte. Ich ging über die Kuppe des Aussichtshügels und dahinter wieder hinunter, bog auf den Weg rechts ein, der über den Grat bis weit draußen zum Windaway Peak führt. Dort stand ich im Regen und lauschte dem Klappern meiner Zähne. Kamen meine Kopfschmerzen vom Alkohol oder vom Trommeln des kalten Regens? Sollte ich nach Hause zurückkehren, in mein Dorf, zu all den unglücklichen Menschen, oder sollte ich hier draußen im gewaltigen, grausamen Wetter ausharren, im schwindenden Licht? Eins erschien mir ebenso wenig verlockend wie das andere.
    Am Ende wandte ich mich um, ohne den Entschluss dazu gefasst zu haben, und rief meinen Beinen in Erinnerung, wie das Gehen funktionierte. Mit schweren Schritten schleppte ich mich heimwärts, ging immer schleppender und schleppender. Ich glaubte, mein Zuhause nie mehr zu erreichen. Doch natürlich kam ich irgendwann an, und natürlich war es drinnen nicht besser als draußen im wilden Wetter, nur ein wenig wärmer und ohne die Aussicht auf einen Erfrierungstod.
     
    Als ich morgens erwachte, wusste ich, was ich zu tun hatte. Mir tat alles weh, von den Haarspitzen bis in mein Herz. Ich setzte mich auf und ließ den Blick über die veränderte Gewöhnlichkeit meines Zimmers und der Möbel darin schweifen, über die Lichtflecken an den Wänden neben den Vorhängen, während ich mir meine Idee durch den Kopf gehen ließ, sie von allen Seiten betrachtete. Sie schien gut zu sein – sofern auf Rollrock, in Potshead, überhaupt irgendetwas gut sein konnte. Zumindest würde sie uns in ein
anderes
Grauen

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