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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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nachdenken. Und jetzt raus mit dir, mein Junge, bevor dein Dad kommt. Er braucht nur einen Blick auf uns zu werfen und weiß sofort, dass wir was im Schilde führen. Los, raus mit dir.»
     
    Schon bald entglitten die Dinge meiner Kontrolle, wie es so ist, wenn einem Jungen ein Geheimnis rausrutscht, und sei es nur einem anderen Jungen gegenüber. Zunächst vertraute Mum mir an, dass Kits Mum auch ins Meer müsste. Dann sollten auch alle anderen Frauen mit. Als Nächstes sollte auch Kit mitkommen, und schließlich wollten alle Mums ihre Jungen mitnehmen. «Dich sowieso, Daniel», sagte Mum, «weil du mit der härtesten Strafe rechnen musst. Ich kann dich nur beschützen, indem ich dich mitnehme.»
    «Das kannst du? Du kannst mich mitnehmen?» Eine irrwitzige Hoffnung flammte in mir auf. «Aber wie denn? Ich hab doch keinen Pelz.»
    «Für dich nehmen wir einfach irgendeine Tierhaut, von einem Fisch, Schaf, Vogel oder Kaninchen, und nähen sie mit Seetang zusammen.»
    «Und zaubert Misskaella sie dann an mir fest?»
    «Misskaella?», lachte sie. «O nein! Die brauchen wir dafür nicht. Ich mache einfach das, was ich mit dir getan hätte, wenn du ein Mädchen geworden wärst – ich nähe dich in die Haut und den Seetang ein, trage dich zum Wasser runter und singe dich hinüber –, mein Landkind wird zum Meerkind. Du hast genug Robbe in dir; der Mond und der Gesang wird diesen Teil mit dir verbinden. Wir wissen alle, wie wir das anstellen müssen.»
    Sie übertrug mir die Verantwortung für die Häute der Jungen; dafür, genug zu sammeln, um alle Jungen darin einwickeln zu können, ohne ihnen von unserem Plan zu erzählen. Das gelang nur, indem ich vorgab, ein geheimes Theaterstück für die Dads vorzubereiten, bei dem jeder Junge, egal ob klein oder groß, eine Rolle spielen und dabei ein Kostüm tragen sollte. Ich musste das Stück immerhin so weit entwickeln, dass es den Mitspielenden überzeugend erschien – die Gesangs- und Tanzeinlagen konzipieren, die kleinen Jungen zum Seetanggarn-Sammeln aussenden, gutgemeinte Vorschläge abwehren, uns mit Stoffen oder Krepppapier zu verkleiden –, was mich fast zur Verzweiflung brachte, vor allem der Spott und Widerstand einiger älterer Jungs. Doch unsere Hautvorräte wuchsen, und unser Vorhaben machte allmählich die Runde, sodass gelegentlich sogar ein Dad uns ein Stück Leder anbot, das er übrig hatte, damit wir es bei unserer Aufführung einsetzen konnten.
    «Steh jetzt bloß still, Daniel.» Mums Hände fuchtelten vor meinem Gesicht herum, zogen die Haut zurecht und steckten sie fest. «Sonst steche ich dir noch ein Auge aus.»
    «Es ist aber schrecklich eng», sagte ich. «Darin kann doch kein Junge atmen.»
    «Nicht hier», stimmte sie mir zu. «Aber sobald du mit Wasser in Kontakt kommst, gibt die Haut nach, und du bekommst Unterwasserlungen und kannst mit einem Atemzug mehrere Minuten lang tauchen. Du hast uns ja gesehen.»
    «Hab ich. Und funktioniert meine Nase dann auch so, geht sie über meiner Schnauze auf und zu?»
    «Ja, Liebes.»
    Ich versuchte, es unter der Kapuze mit meiner Jungennase zu üben, zuckte und schnüffelte damit.
    «Mein armer Junge … So, fertig», sagte sie. «Und pass auf, dass du beim Ausziehen nicht die Stecknadeln mit rausreißt. Es muss ganz genau vernäht werden, damit es richtig sitzt und sich deiner Körperform anpasst.»
    Seitdem die Mums mit von der Partie waren, glaubte ich nicht mehr daran, dass sie sich jemals auf einen Plan würden einigen können. Als sie es dann doch taten, konnte ich mir nicht vorstellen, wie wir alles Notwendige in die Tat umsetzen sollten. Irgendjemand würde doch sicher den Dads unser Vorhaben verraten, entweder aus Versehen oder aus Mitleid? Selbst ich war schon mehrmals kurz davor gewesen, vor meinem Dad mit allem herauszuplatzen, weil er mir so leidtat.
    Doch dann war der geplante Zeitpunkt gekommen. Der Mond trat in die richtige Phase ein, um die Pelze aus dem Lagerraum zu entwenden – und um direkt danach zu fliehen, denn sobald die Mums ihre Häute wiederhätten, würde es sie sofort zum Meer hinunterziehen. Und immer noch merkten unsere Dads nichts.
    Meine zweite Hauptaufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, dass die Tür zur Lagerkammer nicht verschlossen sein würde. Dies musste frühmorgens geschehen, wenn Mr. Wholeman über seinen Geschäftsbüchern brütete und keine Gefahr bestand, dass er seinem Sohn auf Schritt und Tritt folgte, ihn herumscheuchte, schikanierte und an allem

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