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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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Heulsusen ich da großgezogen habe», sage ich. «Meine Brüder hätten euch schon längst mit den Fäusten bearbeitet. Ich bin jetzt weg.» Ich ging auf meinen Mantel zu, der an der Tür hing.
    «Bitte, Mum, bitte!» Farthing wirft sich gegen mich. Sie krallt sich an mir fest, stolpert seitlich neben mir her, während ich weitergehe, hält mich zwischen sich und Miss und jault wie ein getretener Hund.
    «Schluss jetzt mit dem Theater!», sage ich. «Das ist eure alte Kaella. Sie hat euch seit eurer Geburt ein Dach über dem Kopf gegeben, euch durchgefüttert und war immer liebenswürdig zu euch.» Wie bitte?
War immer liebenswürdig zu euch?
Das sind Mums verlogene Worte, die da gerade aus mir herausgesprudelt sind. Mum, deren Gebeine schon seit fünf Jahren unter der Erde liegen. Das passiert vermutlich, wenn jemand stirbt; alle anderen Toten fangen an, vor sich hin zu murmeln, während Miss sie beiseiteschiebt, um für sich selbst Platz im Grab zu machen. «Also seid schön dankbar und bleibt bei ihr sitzen.»
    «Der dicke Baker-Junge hat aber gesagt, die
Männer
haben uns durchgefüttert», jammert Tup von ihrem Bett herüber. «Er sagt, jeder Mann im Dorf hat seinen kleinen Teil dazugetan, weil er vorher sein Teil bei dir reingetan hat.»
    «Was redest du da bloß, Tup?», sagt Penny in ihrem vernünftigsten Tonfall.
    «Hör gar nicht auf sie», sage ich und gebe Pen einen Schubs. Sie wirft mir einen verwirrten Blick zu. Ein Lachen will aus meiner Kehle heraushüpfen, aber ich drücke es gerade noch rechtzeitig zurück und blicke zu Miss auf dem Tisch hinüber. «Ihr bleibt jetzt alle schön brav hier. Wenn’s sein muss, in dem Zimmer da, und holt den Kleinen zu euch rüber, falls er jammert.»
    «Es ist sehr kalt, Mum», sagt Penny über den Lärm der anderen hinweg. «Warum ziehst du nicht Kaellas Mantel über deinen drüber?»
    Ich verziehe das Gesicht, um irgendetwas Grobes zu erwidern, aber mir will nichts einfallen.
Weil er nach ihr riecht und mich das traurig macht?
Das würde ich niemals laut sagen.
    Aber als ich mich angezogen habe, in Schal, Mantel und Stiefeln stecke, blicke ich erst zu Miss’ Mantel an seinem Haken und dann zum Fenster hinüber, über das jetzt richtige Schneeflocken fegen. «Ja, warum eigentlich nicht?» Ich nehme ihn vom Haken und schnuppere an der Brust. «Puaah! Oh ja, das riecht nach Seegrassammeln im Schlamm! Es macht dir doch sicher nichts aus, mir deinen alten Stinkemantel zu leihen, Miss, damit ich mich um deinen letzten Willen und deine letzten Wünsche kümmern kann?»
    Miss liegt dort sauberer und würdevoller, als ich sie je zuvor gesehen habe. Nichts kann sie jetzt noch ärgern; nichts wird sie aufstacheln. Kann es wirklich sein, dass sie nie wieder herumtoben wird? Werde ich nie wieder kichernd dasitzen, meine Mädchen wie ein Pilzbüschel um mich geschart, während sie zur Hütte herein- oder hinausstürmt und sich brüllend Luft macht – über Männer, Frauen, Kleinkinder und das furchtbare Leben, das eine Hexe führen muss?
    «Mach jetzt keine Witze, Mum!», sagt Penny und schielt zu Miss hinüber, um zu schauen, ob sie beleidigt ist, weil ich mir wünsche, dass Miss sich wieder bewegt, böse wird und uns wie gewohnt wüst beschimpft.
    Ich ziehe mir den Mantel über und knöpfe ihn zu. Na, ich werd’s mollig warm haben. «So, und jetzt gib mir den Korb. Nein, den mit dem Deckel, sonst fliegt alles sofort raus.»
    Ich schnalle ihn mir auf den Rücken und wende mich den Augen zu, die aus dem Schlafzimmer zu mir herüberstarren. «
Kein
Schritt vor die Tür. Niemand von euch!»
    «Machen sie schon nicht, Mum», sagt Pen, ganz die besonnene kleine Frau.
    Der Wind reißt mir die Tür beim Öffnen aus der Hand, wehrt sich dann gegen meine Versuche, sie zu schließen, und bestraft mich schließlich dafür, dass es mir doch gelingt: Er bläst mir wüst gegen den Kopf, wirft sich gegen Miss’ Mantel und peitscht mir die Rocksäume gegen die Schienbeine. Aber ich hab’s geschafft – sie sind eingesperrt. Ich habe sie für eine Weile abgeschüttelt, die kleinen Kletten.
    Ich gehe am besten durch die Dünen, denke ich; am Strand kann ich mich wahrscheinlich kaum aufrecht halten – und dann noch die stürmische Brandung, nein, die ist heute Morgen wirklich zu stark; der Wind reicht voll und ganz. Ich ziehe los durch den Schneesturm und den umherfliegenden Sand – wenn ich nicht blind werden will, muss ich mir den Schal fast vollständig vor die Augen wickeln, und

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