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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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der Wind würde mir am liebsten den Korb entreißen, so wie er darauf einprügelt und daran zerrt. Ich kann nicht vorhersehen, aus welcher Richtung mich der nächste Windstoß treffen wird, weil die Dünen ihn zerstückeln und umleiten. Immer wieder werde ich von einer Bö überrascht und torkle wie eine Betrunkene vorwärts. «Vielleicht sollte ich mir ’n Gläschen gönnen!», rufe ich, eine behandschuhte Hand in der Flanke einer Düne versunken. «Oben im Haus gibt’s jede Menge Weinflaschen. Ich sollte mit mir selbst anstoßen!»
    Ich stapfe stolpernd weiter.
War immer liebenswürdig zu euch
, höre ich mich, höre ich meine Mum sagen. Nun, sie hat mich immerhin bei sich aufgenommen, die alte Miss, und mich sogar noch bei sich behalten, als aus mir sechs Personen wurden.
Diese kleinen Schreihälse
, hat Miss immer gesagt, wenn sie am Strand oder in der Hütte um uns herumstolperten und schrien.
Ich weiß nicht, wie du das aushältst. Ich bin so froh, dass ich selbst keine habe.
    Mir ist Sand ins Auge geflogen. Ich würde ihn rausreiben, wenn nicht auch der Rest von mir über und über mit Sand bedeckt wäre. Einäugig orientiere ich mich an dem bisschen weiter, was ich zwischen dem Blinzeln sehe.
    Na, sie hat es doch ganz schön lang mit mir ausgehalten, oder? Oft genug stürmte sie stinkwütend davon und blieb eine Weile weg.
Sehr
oft regte sie sich darüber auf, wie viel Lärm und Unordnung Kinder machen und wie dumm sie sind – so oft, dass ihr Gebrüll den Mädchen schon gar keine Angst mehr einjagte, solange sie dabei nicht noch auf sie zusprang und sie erschreckte. Aber sie ließ immerhin extra ein Zimmer anbauen, als Farthing unterwegs war.
    Und sie blieb bei uns.
Du hast das ganze riesige Haus da oben
, sagte ich einmal zu ihr, als wir vor dem Kamin saßen und die Mädchen nach einem ihrer Wutanfälle mucksmäuschenstill an der Wand klebten.
Du musst dich nicht mit uns rumschlagen, wenn du nicht willst.
    Und was soll ich da oben?
, blaffte sie mich an.
    Na, deine Ruhe haben – das willst du doch unbedingt, sagst du ständig.
    Selbst als ich zwischen den Dünen hinaustrete und die volle Wucht des Schneetreibens auf McCombers Feldern zu spüren bekomme, steht mir noch der Blick vor Augen, den sie mir daraufhin zuwarf – als hätte ich ihr einen Dolch ins Herz gerammt.
Wär’s dir lieber, wenn ich gehe?
, fragte sie.
Ist es das, was du willst?
    Nein!
Und das war die Wahrheit.
Überhaupt nicht. Aber du beschwerst dich andauernd über uns.
    Der Ausdruck verschwand von ihrem Gesicht.
Beschweren? Ach, das ist nur Gerede
, winkte sie ab.
Ganz allein da oben in dem Haus? Das war ich lang genug.
    Ich schleppe mich über die Felder. Irgendwo dort muss eine Mauer und eine Straße sein, auch wenn ich nichts von beidem sehe. Gut, dass es ein Gefälle gibt, sonst wüsste ich gar nicht, wo ich langmuss. Ich könnte in dem ganzen Weiß die Orientierung verlieren, in einer Mauerecke festfrieren und fünf Kindern die Mutter nehmen.
    Aber in dem Fall würde sofort das halbe Dorf angekrochen kommen, um als Dad einzuspringen, stimmt’s nicht, Tuppence? «Ha!»
    Da, sieh mal – ein winziges Stück Welt, das sich nicht bewegt. Das ist die Mauer; und da ist der Zaunübertritt.
    Schließlich erreiche ich das Dorf. Der Wind hat die Straßen leergefegt, sodass ich mit niemandem reden muss. Die Männer haben sich alle eingeigelt und sitzen vor dem Kamin, einige immer noch allein, viele mit ihren Festland-Frauen, mit denen sie so schnell wie möglich versuchen, die schändlichen Spuren der Robbenfrauen wegzuzüchten. Überall in der Stadt kommen in letzter Zeit kleine rothaarige Jungen und Mädchen zum Vorschein, dazwischen noch ein paar dunklere oder zarter gebaute, die allseits für missbilligendes Brummen sorgen. Weißt du noch, wie sehr du es mit der Angst zu tun bekommen hast, als damals das Severner-Mädchen auf die Insel kam?
Hier wird’s genauso werden wie in Knocknee
, sagte ich zu Miss, nachdem ich an jenem Tag vom Winch-Haus heimgekehrt war.
Alle sind hübscher als wir und machen sich über uns lustig.
    Mach dich nicht verrückt.
Wie eine Königin lag sie auf ihrem Krankenlager, hochrot vom ersten der vielen Fieberschübe, die sie schließlich das Leben kosteten.
Sie wissen jetzt, wie sie eine Hexe auf dieser Insel zu behandeln haben. So schnell vergessen sie das schon nicht.
    Und es
ist
besser – ein wenig mehr Leben in den Straßen, umhertollende Kinder, die nicht meine eigenen sind, ein paar Männer und

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