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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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wollen? Ich wartete, bis die Stimmen der Männer vom Klatschen und Zischen der kleinen Wellen unten am Kiesstrand verschluckt wurden, dann scharrte ich die klirrenden Muscheln zusammen, schob den farblosen Haufen an den Rand des Abgrunds und dann darüber hinaus; klimpernd landeten sie auf den darunterliegenden Steinen und Muscheln und waren sofort dazwischen verschwunden.
     
    Es folgte ein langer, dunkler Winter, und Rollrock verlor viele seiner älteren Bewohner. Zu ihnen zählte auch der oder die Unbekannte, die mir die Geschenke gebracht oder jemanden damit beauftragt hatte. Wer es wohl gewesen war? Während jener dunklen, kurzen Tage war nichts mehr für mich eingetroffen, sodass es sich um jeden der sieben alten Männer oder Frauen handeln konnte. Einige von ihnen waren nett zu mir gewesen, aber so, wie sie zu allen Kindern nett gewesen waren; einige hatten einen wachsamen Blick aufgesetzt, sobald sie mich sahen, und wieder andere hatten sich vor der Außenwelt abgeschirmt, wie Großmutter Prout, sodass ich kaum wusste, wie sie überhaupt ausgesehen hatten.
    Wer es auch gewesen war, hatte mich verlassen, und ich spürte diesen Verlust schmerzlich, da ich nun erwachsen zu werden begann, der Kindheit entwuchs – in ein Alter hinein, wo das ganze Dorf, ganz Rollrock, plötzlich ein größeres Interesse an mir und allen anderen heranreifenden jungen Frauen zeigte, uns wie Hühner auf dem Markt miteinander verglich, den Glanz der Federn, das Leuchten der Augen, das Temperament und die Aufzucht im Allgemeinen. Auch die Jungen wurden beäugt, doch mehr nach Zeichen von Nichtsnutzigkeit; wie ein Junge gebaut war und wie er aussah, war nicht so wichtig wie bei einem Mädchen, selbst wenn meine Schwestern die Jungs ständig miteinander verglichen. Ihre Gespräche langweilten mich, doch als ich selbst auf ein heiratsfähiges Alter zusteuerte, wurde mir klar, dass mir keine andere Wahl bleiben würde, als mich auch mit dem Thema zu beschäftigen. Ich konnte nicht wie ein Mann mit dem Boot rausfahren oder mich nach Cordlin absetzen, um dort meinen Lebensunterhalt zu bestreiten – mit welcher Fähigkeit sollte ich schon Geld verdienen? Doch ich traute mich kaum, mir auszumalen, auf was für einen Ehemann ich hoffen konnte, denn ich wusste, dass ich nicht viel zu bieten hatte – so wie meine Schwestern bei dem einzigen Mal, als es um meine Heiratsaussichten ging, vor Lachen gekreischt hatten und nach dem drückenden Schweigen zu urteilen, das Mum und Dad bei diesem Thema an den Tag legten – von den Blicken und derben Scherzen, mit denen mich die Jungs und Männer selbst auf offener Straße bedachten, einmal ganz zu schweigen. «Wenn du vielleicht einen etwas fröhlicheren Eindruck machen würdest …», hatte Mum ohne echte Hoffnung gesagt, nachdem sie mich wieder einmal eine Zeitlang mit düsterem Blick gemustert hatte. Doch ich hatte meine Schwestern dabei beobachtet, wie sie ständig grundlos lächelten und ihr Haar hin und her warfen – es war einfach grotesk; zu so etwas würde ich mich nie hinreißen lassen. Ich war ein unglücklicher Pudding und würde nicht vorgeben, etwas anderes zu sein. Und warum sollte ich überhaupt versuchen, einen dieser Jungen für mich zu gewinnen? Selbst diejenigen, die mich in der Schule nicht gepiesackt hatten, waren nie eingeschritten, um die anderen davon abzuhalten. Nicht einmal Bees besorgte Auflistung derjenigen Männer, die sich vielleicht doch für mich interessieren könnten – aufgrund mangelhafter Geistesgaben, Körper oder Manieren oder weil sie schon so alt waren, dass ein hübsches Gesicht oder die Figur einer Frau keine Rolle mehr spielte –, bewegte mich dazu, etwas an mir zu ändern, verschiedene Frisuren auszuprobieren oder Interesse am Leben meiner Mitmenschen vorzugaukeln.
    Es hätte mir gereicht, von Zeit zu Zeit mit einem Geschenk bedacht zu werden, das mich als jemand Besonderes auswies, wo doch alle Welt darauf aus zu sein schien, ausschließlich auf meine Fehler hinzuweisen. Ab und zu gönnte ich mir das Vergnügen, abends die Bänder über meiner Schulter zu lockern, um mich daran zu erinnern, dass ich etwas sehen konnte, was die anderen nicht sahen. Doch was für ein Trost war es schon, die Essenz der Dinge bei ihrem strömenden Tanz zu beobachten, wenn ich doch jedes Mal in mein eindimensionales, stilles Leben zurückkehren musste, in dem mir anstelle von Ehrfurcht und Staunen nur Verachtung entgegenschlug?
    Während ich vor mich hin brütete,

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