Seeherzen (German Edition)
Augen, die fast von meinen Wangen verschluckt wurden, meinen mürrischen Gesichtsausdruck. Sie warf mir zwar nie an den Kopf, dass ich nach dieser schmählichen Verwandten kam, doch der Vorwurf hing unausgesprochen zwischen uns; ich wartete nur darauf, dass sie es irgendwann gegen mich verwenden würde, doch dazu ließ sie sich dann doch nicht hinreißen. Stattdessen klagte sie darüber, dass ich ihr für immer zur Last fallen würde, weil ich einfach nicht zu verheiraten war. Dad würde das einzige Baby sein, um das ich mich jemals kümmern würde, sagte sie. Vermutlich käme mir seine Krankheit sogar ganz gelegen? Vielleicht glaubte ich, damit eine Entschuldigung zu haben, allen anderen gegenüber so nutzlos zu sein?
«Nutzlos bin ich also, ja?», brach es aus mir heraus, wenn sie es wieder einmal zu weit getrieben hatte. Dann stellte ich Dads Schüssel beiseite, riss mir die Schürze runter und verließ türenknallend das Haus. Ich drehte eine Runde durch das Dorf; ein paar Leute grüßten mich, einige spuckten mir vor die Füße, andere huschten schnell vorbei. Oder ich stieg an den Feldern und Zäunen entlang zum Whistle Top hinauf, ließ mir den Wind durch die Haare und zwischen die Zähne wehen, sog den Anblick des Meeres zu drei Seiten um mich herum auf, vertrieb die düstere Enge und den Geruch des Krankenzimmers aus meinem Kopf. Ich spürte den Zorn und die Schande, eine Prout zu sein – diese spezielle Prout noch dazu, die Unverheiratete, die Sonderbare, die mit der Verbindung zu den unglückseligen Vorfahren.
Oder ich besuchte die Robben, ließ die Beine vom Küstenpfad herabbaumeln und tröstete mich mit dem Anblick der Wesen, die sich keine Meinung über mich bildeten. Unbekümmert lagen sie in der Sonne oder inmitten von Wind und Schnee; sie brachten ihre Jungen zur Welt, hinterließen eine schreckliche Schweinerei und ließen die Vögel hinter sich sauber machen. Der Bulle schlug, der eigenen Hässlichkeit gegenüber gleichmütig, seine Rivalen in die Flucht und kehrte anschließend zurück, um sich mit einem der wonnigen weiblichen Robbenhaufen zu paaren – mit welchem, schien ihn kaum zu kümmern.
Ich betrachtete sie eine lange Zeit. Meine Wut löste sich nach und nach in Luft auf, und ich fand zu einer ruhigen inneren Wachsamkeit. Ich war nicht im Entferntesten versucht, die überkreuzten Bänder zu lockern und die Robben zu stören. Ich hatte bereits einmal tief in sie hineingeblickt; das war genug gewesen, um zu wissen, was in ihrem Innern funkelte, was ich aus ihnen zum Vorschein bringen konnte, wenn ich groß und tapfer genug geworden war. Ich war sicher, meine Zeit würde kommen, und dann würde es Mum und den Mädchen leidtun.
Wenn ich zurückkehrte, war Dad schlampig gefüttert worden, und von Mum hörte ich nichts außer dem Klappern einer Pfanne, dem Krachen eines Holzscheits. Danach hatte ich für gewöhnlich ein paar Tage meine Ruhe, bevor sie erneut vergaß, wie viel Arbeit ich ihr ersparte, und wieder anfing, sich zu beschweren.
Mir blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken, was ich mit Hilfe der Bänder von mir fernhielt. Ich war zu sehr damit beschäftigt, den Haushalt für Mum und Dad zu führen oder einzuspringen, wenn Grassy oder Bee im Wochenbett lagen oder sie, ihre Kinder oder Männer krank waren. Eine lange Zeit schien ich allen anderen zu gehören, nur nicht mir selbst; ich fühlte mich wie ein Besen oder ein Geschirrtuch, die jeder nach Bedarf an sich nehmen, benutzen und nach Gebrauch wieder weglegen konnte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden.
Während dieser Zeit sah ich viele Mädchen heiraten. Ich stand draußen in der Menge vor der Kirche, wartete darauf, dass Braut und Bräutigam siegreich daraus hervortraten, und schloss mich den anderen an, wenn es zum Festmahl ging. Es gab keinen ersichtlichen Grund, warum ausgerechnet Tricky Makepeaces Hochzeit auf einmal diese Ungeduld in mir auslöste; wir waren weder verwandt noch besonders befreundet oder verfeindet. Jodrell Fence war zudem kein besonders beneidenswerter Fang und Trickys Kleid nicht schicker als das der meisten anderen.
Doch in dieser Nacht griff ich mir Feuerstein und Stahl und verließ das Haus, schlich auf Zehenspitzen durch das Dorf, um niemanden zu wecken, und schlug den Feldweg ein. Der Mond schien hell – vielleicht hatte er mich hervorgelockt? Die Luft stand so still, als hielte sie den Atem an.
Ich ging hinunter zur Crescent Cove, zu den Robben, die silbern im Mondschein
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