Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
Vom Netzwerk:
hinunter und schwammen darin; ich wusch mir seine Robbenhaftigkeit ab, er sich meine Weltlichkeit. Er kam auf mich zu und lehnte sich an mich; ich reichte ihm kaum bis zur Brust, und während er mich in den Armen hielt, spielte er mit meinen Haarsträhnen, die mir über die Schultern fielen, wrang mit seinen großen Händen das Meerwasser heraus und legte sie zurecht, verwandelte die verknoteten nassen Strähnen durch bloße Blicke und Berührungen in etwas Schönes. Ich spürte einen langen, tiefen, trinkenden Kuss auf meinen wunden Lippen, der meine schmerzende Zunge noch ein letztes Mal herausforderte.
    Dann ließ er mich los. Nackt folgte ich ihm zwischen den Robben hindurch hoch bis zu den Felsen. Dort lag seine Haut, in der aller Zauber schlummerte. Als er sich bückte, erzitterte sie einen Augenblick unter ihm, schien in der Woge aufsteigenden Lebens zu verschwimmen. Er griff nach der Haut, und sie erwachte, warf sich ihm entgegen. Er hob sie auf, und sie verdichtete sich, wurde nachgiebiger; die ersten Lichtstrahlen strömten von seinen Fingerspitzen in die Robbenhaut hinein. Er fiel auf die Knie, die Haut umschloss ihn, und der Mann war verschwunden. Wie hatte es ihn jemals geben können? Erschüttert sah ich zu, wie die Robbenmasse sich vor mir aufbäumte, vom Felsen abstieß und in die Schar schreiender Robbenmütter hinabglitt.
    Zitternd, noch eingelullt vom aufsteigenden Zauber, kehrte ich ans Feuer zurück und bekreuzigte mich mit meiner Bandage. Um mich herum wurde alles still, und ich war allein in der Crescent Cove, allein mit dem Meer, dem Licht des Mondes und der Sterne, die mit- und übereinander spielten, allein mit den Robben, die sich wieder zur Ruhe legten. Langsam versteckte ich mich in der gleichen alten Bluse, dem Kittelkleid und meinen Stiefeln, trat die glühenden Scheite auseinander und presste die Hitze heraus. Gut eingepackt und aufgewärmt kletterte ich über die Felsen und stieg den sandigen Pfad hinauf. Oben am Felsvorsprung blieb ich im Gras unter den friedlichen Sternen stehen, die kurz zuvor noch so ruhelos über mich hinweggestreift waren. Ich war einmal hässlich gewesen; das durfte ich nicht vergessen – ich durfte nicht vergessen, wie man hässlich war, jetzt, da ich wusste, dass ich schön war; durfte nicht vergessen, wie man normal war, nachdem ich erlebt hatte, welche Wunder mir innewohnten.
    Durch die entzauberte Nacht ging ich nach Hause. Auf dem Klohäuschen zog ich mein Nachthemd an, dann betrat ich das Haus, wo mich mein altes Leben empfing, mich so schnell wie möglich wieder vereinnahmen und zwischen meinen alten Aufgaben und Ärgernissen einklemmen wollte. Mit neuen Augen blickte ich mich in der schemenhaften Küche um; nie wieder würde sie mich so festhalten können, wie sie es zuvor getan hatte. Ich war zwar wieder hier, aber ich war nicht mehr hier gefangen.
    Als ich über den Flur ging, knurrte Mum hinter der Tür zu ihrem Zimmer: «Du hast ja ewig gebraucht! Hast du Dünnschiss?»
    «Ich bin eingenickt.» Betont schläfrig schlurfte ich weiter.
    «Ach, und was, wenn mir hier die Blase
geplatzt
wäre?», fauchte sie.
    «Du hättest ja draußen klopfen können», sagte ich ruhig und musste mir bei dem Gedanken daran, was passiert wäre, wenn sie tatsächlich geklopft hätte, das Lachen verkneifen.
    Ich schloss die Tür zu meinem Zimmer und legte mich ins Bett. Ich wollte nicht einschlafen und dieser Nacht ein Ende setzen, um morgen in der gewohnten Eintönigkeit wieder aufzuwachen und alles nur für einen Traum zu halten. Doch während ich auf den Felsen der Crescent Cove neben dem Robbenmann gelegen hatte, war mir klargeworden, wie wenig meine eigenen Wünsche zählten – nichts, aber auch gar nichts. Ich blickte zu den schwirrenden Schatten des Himmels hinauf und war glücklich, von so geringer Bedeutung zu sein. Als meine Gedanken schließlich zur Ruhe kamen, schlang ich die Arme um mich, strich mir selbst über das feuchte Haar und sank in den Schlaf.
     
    Das Leben nahm seinen gewohnten Lauf. Nach und nach verflüchtigte sich das Gefühl der Hände des Robbenmanns von meiner Haut und der Anblick seines Gesichts aus meinem Gedächtnis. Nach dem Hochsommer wurde mir eines Tages schlagartig klar, dass schon eine ganze Weile ohne das übliche monatliche Ereignis vergangen war und mir von dem Robbenmann mehr geblieben war als meine verlorene Unschuld und ein neuartiges Gefühl inneren Friedens.
    Ich nahm diese Erkenntnis gelassen auf. Das Dorf würde mich

Weitere Kostenlose Bücher