Seeherzen (German Edition)
verurteilen und Mum würde zetern und toben, aber ich würde sein Baby trotzdem bekommen, ein halb magisches Baby, das nur mir gehörte.
Jetzt, nachdem ich es mir eingestanden hatte, spürte ich das Kind in mir wachsen. Mir ging es allerdings nicht so schlecht wie Grassy und Bee, die beide gerade wieder schwanger waren – sie hatten sich bisher während jeder Schwangerschaft hundeelend gefühlt und immer versucht, sich gegenseitig in ihrem Leid zu übertreffen. Ich musste nicht mit grün angelaufenem Gesicht herumsitzen, stets eine Spuckschüssel in Reichweite haben und mich zwingen, irgendetwas Essbares bei mir zu behalten. Ab und an spürte ich, wie eine leichte Übelkeitswelle durch mich hindurchging, und ein- oder zweimal schnürte mir der Geruch von Bratfett die Kehle zu; ich konnte nur ganz schwachen Tee trinken, und manchmal fand ich es im Haus dermaßen stickig, dass ich vor die Tür gehen und tief durchatmen musste, um nicht ohnmächtig zu werden. Doch Mum fielen meine kleinen Unpässlichkeiten gar nicht auf, und sonst gab es niemanden, der mich so genau beobachtete, dass er den Unterschied bemerkt hätte.
Und dann verschwanden die Beschwerden, und zurück blieben nur mein Wissen, das Wachsen tief in mir drin und die gelegentlichen flatternden Bewegungen. Ich rechnete ständig damit, dass es jemandem auffallen würde, dass ich bissige Bemerkungen zu hören bekommen und von Blicken durchbohrt werden würde. Doch an mir war schon immer viel dran gewesen, und ich war nicht weiter in die Breite gegangen, sondern nur praller geworden. Die äußerliche Veränderung war kaum zu erkennen; Mum mäkelte nur auf ihre übliche Weise an meinem Körper herum, und Männer wie Garter O’Day glotzten mich wie gewohnt aus den Augenwinkeln an, wenn sich die Gelegenheit bot. Die Monate zogen vorbei, das Wetter wurde schlechter, und ich saß häufig seltsam angstfrei vor dem Kaminfeuer. Im Geiste kehrte ich zurück zu jener Nacht, die ich mit dem Robbenmann verbracht hatte, zur Düsternis des Frühlingsmondes; ich lauschte den Bewegungen seines Kindes in mir, und irgendwie ergab alles zusammen einen Sinn. Es bestand kein Grund, jemandem davon zu erzählen, es dem allgemeinen Tratsch zum Fraß vorzuwerfen, es zu etwas Billigem verkommen zu lassen. Sollten die Leute es doch bemerken, wann immer sie wollten; es sollte nicht meine Sorge sein.
Im tiefsten Winter, als das Eis im Hafen knarzte und Potshead sich schutzsuchend unter der Schneedecke zusammenkauerte, setzten bei Grassy und Bee gleichzeitig die Wehen ein. Mum quartierte sich vorübergehend oben bei Grassy ein, um sich um beide kümmern zu können, ohne jedes Mal die rutschige Anhöhe bewältigen zu müssen, und ließ mich allein zu Hause – mit meinem tattrigen Dad, der ans Bett gefesselt war und außerstande zu sprechen, möglicherweise sogar zu denken. Erst jetzt, da die Speisekammer zum Bersten voll war und keine Notwendigkeit bestand, mich aus dem Haus zu wagen und gesehen zu werden, drängte mein Bauch plötzlich hervor, und einige wenige Tage lang war ich unübersehbar als werdende Mutter zu erkennen. Doch niemand kam vorbei, und Dad war es gleichgültig. Als er eines Nachmittags schlief, ging ich in meinem Zimmer hin und her, klammerte mich an den Bettpfosten, stöhnte mich durch die Wehen hindurch und brachte nach relativ kurzer Zeit das Wesen zur Welt, das die letzten Monate in mir herumgeschwommen und -gehüpft war.
Ich wickelte es warm ein, hob es hoch und drückte es an meinen erhitzten Körper. Es war immer noch über die Nabelschnur mit mir verbunden; ich kauerte mich über den Nachttopf und wartete auf die Nachgeburt. In verzückter Furcht betrachtete ich mein Baby, wie es das Gesicht zusammenkniff, die Stirn runzelte und dann seinen ersten Atemzug tat. Der Schock, plötzlich ein eigenes Leben zu besitzen, weckte es auf, und es öffnete die verklebten Augenlider. Ich dachte, es wäre blind – noch nie hatte ich Augen von solch rauchigem Sturmblau gesehen.
Ich wickelte es wieder aus, um nachzusehen, ob alles an ihm in Ordnung war, zählte Finger und Zehen und entdeckte, dass ich einen kleinen Jungen in den Armen hielt.
Siehst du
, dachte ich.
Dies ist der zweite gute Mann in deinem Leben.
Schnell packte ich ihn wieder ein, damit nicht noch mehr seiner Wärme entwich.
Schwer atmend wiegte ich mein Baby in den Armen und drückte es fest an mich; am liebsten hätte ich es durch meine Brust wieder in mich hineingeschoben und direkt unter meinem Herzen
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