Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
Vom Netzwerk:
diese Aufgabe waren, und ich lief am Strand auf und ab, bis ich den perfekten Knochen gefunden hatte: Er hatte einem Fisch oder einem Seevogel gehört und war an einem Ende abgebrochen, sodass ein Haken entstanden war, den ich am Felsen abfeilte, damit er sich nicht im Seegras verfangen konnte. Ich sammelte weiteres Material, bis ich einen Stapel um mich herum gebildet hatte, wand unermüdlich den flaumigen Tang, der nass im Mondschein schimmerte, und von Zeit zu Zeit einen Strang voller Gasblasen um die Knochennadel, häkelte und knotete aus der Nacht und dem Material des Meeres den inneren Frieden meines Sohns zusammen. Als ich ein quadratisches Stück fertiggestellt hatte, deckte ich meinen kleinen Sohn damit zu, wickelte ihn in seine Tücher, nahm ihn auf den Arm und trottete in der beginnenden Morgendämmerung erschöpft nach Hause.
    Eine Zeitlang erfüllte die Seetangdecke ihren Zweck, doch als sie auszutrocknen begann, wirkte sie weniger beruhigend auf Ean – immerhin fand ich heraus, dass ich sie auffrischen konnte, indem ich sie mit Meerwasser bespritzte oder, noch besser, einen Eimer damit füllte und die Decke darin einweichte.
    Doch mein Kleiner wurde immer unruhiger, und obwohl ich eine Ersatzdecke für ihn häkelte, mit der ich ihn beruhigen konnte, wenn die andere Decke gerade im Eimer einweichte, schien er sich mittlerweile zu keinem Zeitpunkt mehr richtig wohl zu fühlen, keinen Trost mehr zu finden. Er trank und trank, saugte die ganze Milch aus mir heraus. Mittlerweile war ich sehr mager; Frauen sprachen mich auf der Straße an und wollten wissen, woran ich litt, schalten mich dafür, dass ich nichts aß. Und trotzdem wollte mein kleiner Prinz einfach nicht wachsen; wenn er nicht gerade schlief, lag er teilnahmslos herum und gab seine schwachen sprachähnlichen Laute von sich, als wollte er leise, aber unablässig darauf hinweisen, dass er nicht in diese Welt gehörte, sosehr er sich auch abmühte, hier zu existieren.
    Mir war nur allzu klar, was ich zu tun hatte. Im tiefsten Innern graute es mir vor dem Wissen, das ich mit dem Deckeneinweichen von mir fernzuhalten versuchte, mit dem Windelauswringen, den stundenlangen Fütterversuchen. Ich wusste, dass wir so nicht weitermachen konnten.
    Schließlich war die Zeit gekommen, das Undenkbare zu tun. Mum war am Nachmittag vorbeigekommen und hatte mir Anweisungen für den Frühjahrsputz entgegengeschleudert. Die einzige Tür, die sie nicht aufgerissen hatte, war die zu meinem Zimmer. Hätte sie das getan, hätte sie meinen kleinen Prinzen in seinem Nest aus feuchtem Seetang auf meinem Bett vorgefunden, neben ihm die sauberen Windeln, die ich vom Kaminsims heruntergerissen und schnell dort hingeworfen hatte, als ich hörte, wie Mum draußen Pixie Snaylor begrüßte.
    Der Frühling nahte. Wenn ich jetzt nicht handelte, würden andere von dem Baby erfahren. Mum würde davon erfahren, meine Schwestern, das ganze Dorf. Ean hatte seit Wochen unglücklich hier herumgelegen, das kleine Gesicht schmerzverzerrt. Sein Körper hatte keinen Versuch mehr unternommen, durch Bewegung kräftiger zu werden, Ean hob nicht einmal mehr den Kopf, lag nur dicht neben mir, den winzigen Arm um meinen Hals geschlungen, träumte reglos von einem besseren Ort, saugte durch seine winzigen Nasenlöcher den säuerlichen Geruch des Seetangs um sich herum ein.
    Die Nacht brach herein, und der Vollmond stieg auf. Ich löste meine überkreuzten Bänder, rollte sie zusammen und steckte sie ein. Ich hob meinen Jungen hoch, wickelte ihn warm ein und trug ihn durch die pulsierende Nacht den Hügel hinunter bis zur Crescent Cove. Nur ein paar Robben begrüßten mich, als ich den Küstenpfad hinabging, doch dahinter tauchten weitere auf. Wie verschleierte Frauenköpfe ragten ihre Häupter aus dem Wasser heraus. Ich kniete mich neben Ean, wickelte ihn aus und küsste ihn. Am Meeressaum fand ich frisches Seegras, fein wie Spitze. Damit umwickelte ich ihn, während er nach Luft schnappte, wickelte es ihm um den winzigen Brustkorb, auf dem sich Gänsehaut abzeichnete und der nicht ausreichend atmen wollte, nicht breiter und dicker werden wollte wie bei meiner Nichte und meinem Neffen. Ich bildete ein X auf seiner Vorder- und Rückseite, um sicherzustellen, dass er Hexen und Menschen für immer fernblieb, für immer im Meer sicher war.
    Ich küsste ihn noch einmal, dann wickelte ich ihn wie eine Mumie von Kopf bis Fuß in saubere Säuglingstücher ein. Er bewegte sich darin, bewegte sich im

Weitere Kostenlose Bücher