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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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Schlaf. Um die Tücher hüllte ich eine frisch eingeweichte Seetangdecke. Dabei sang ich die ganze Zeit eins der merkwürdig klingenden Wiegenlieder, die ich mir für ihn ausgedacht hatte, ohne es zu planen – sie waren während einer langen Nacht oder an einem Tag im Winter einfach aus mir hervorgedrungen und nur für diesen Kleinen hier bestimmt, für niemanden sonst. Meine Melodien und das Geräusch des Meeres verschmolzen miteinander; die Robben hielten wippend im Wasser Wache. Ich sang und sang und wickelte Ean fest in die Decke ein. Und während ich ihn einwickelte, krallten sich die Stränge des Seetangs an dem weißen Stoff darunter fest, und das gehäkelte Gewebe verband sich mit ihnen; mein Gesang, meine Häkelei, der Blick der Robben, der Mond und das Wasser arbeiteten zusammen, um den Seetang, den Stoff und mein Baby eins werden zu lassen. Zauber stieg von den Felsen und aus dem Meer auf wie ein Heuschreckenschwarm aus der Sommerernte; wie Tränen wallte ein Gefühl von Macht in mir auf, und wie Tränen hielt ich es zurück, weil ich mir bei dieser Aufgabe keinen Fehler erlauben durfte. Ich musste mich als Kanal zur Verfügung stellen, durch den die Magie in der richtigen Geschwindigkeit und Dichte hindurchströmen konnte.
    Als mein Junge sicher eingewoben war, trug ich ihn nach unten – schon jetzt war er schwerer geworden – zu dem schmalen, geschwungenen Sandstreifen, der bei Ebbe sichtbar wird. Die Robben hatten sich im Wasser weiter vorgewagt; ich setzte mich, zog die Schuhe aus und rief ihnen zu: «Seid ihr bereit, ihr schönen Frauen, meinen Ean bei euch aufzunehmen?» Ich raffte meine Röcke hoch und knotete sie zusammen, hob das Bündel auf und watete ins Wasser hinein.
    Ich setzte Ean auf den kleinen Wellen ab, hielt ihn dort eine Weile fest, unfähig, mich zu rühren aus Angst vor meinem Vorhaben. Ich blickte von dem Bündel in meinen Armen auf, eisig spülte mir das Meer um die Knie, leckte an meiner Hand, meinem Ellbogen. Die Robbenmütter waren immer noch einige Meter entfernt, doch ich konnte ihren Atem hören und riechen; ich sah, wie sich ihre Barthaare sträubten; ich spürte die Aufmerksamkeit, mit der sie meinen Melodien und Aktivitäten folgten, wie fest gespannte Taue zwischen uns, schwer vom Meerwasser, durchtränkt vom Licht der Sterne.
    Ich versetzte Ean einen kleinen Schubs in ihre Richtung und ließ ihn los. Er ging unter, und ich konnte ihn nicht mehr sehen, sah nur das Glitzern des Wassers. Panisch beugte ich mich vor, griff unter Wasser und machte mir das Kleid nass. Wieder gab ich ihm einen vorsichtigen Schubs und bemerkte, dass er sich weicher und zugleich lebendiger anfühlte. An meinen Fingerspitzen spürte ich die Lebensenergie vorbeiströmen, die ich während seiner Zeit bei mir so gern an ihm erlebt hätte. Dadurch ermutigt, stimmte ich wieder mein Lied für ihn an. Ean wand sich aus meinem Griff und sprang von mir fort; zwei der Robbenfrauen tauchten unter, um ihn willkommen zu heißen. Ich richtete mich auf und trat zurück, schlug mir die nasskalten Hände vor den Mund. Ich stellte mir vor, wie sie sich unter Wasser das erste Mal begegneten – die beiden Großen und der Winzling.
    Ich trat aus den kleinen Wellen heraus und beobachtete die Robben. Das Wasser kam in Bewegung, als sie mit meinem Sohn zu ihrer Herde schwammen. Sein runder Kopf tauchte zwischen ihren großen auf, seine schmale Flanke schimmerte, während er zu ihrer Belustigung spielerisch im Wasser umhersprang. Sein Freudentanz brach mir das Herz – wie wenig er mich brauchte, wie überglücklich er auf einmal war, so glücklich, wie er es nie zuvor gewesen war, in meinem Haus, an meiner Brust! Ich freute mich über seine Freude und darüber, dass man sich um ihn kümmern würde, aber wie sollte ich nur ohne ihn leben, ohne meinen kleinen Prinzen, der den Ablauf meiner Tage und Nächte bestimmt hatte?
    Mit leeren Händen, leeren Armen sah ich meinem Sohn nach, wie er mit seinen neuen Müttern spielte, wie sie ihn mir wegnahmen. Es war eine Qual, das mit anzusehen, noch nie war mir etwas so schwergefallen – und doch verspürte ich den Drang, dazubleiben und alles zu sehen, was es zu sehen gab. Er wurde kleiner und kleiner, hüpfte zwischen ihnen herum, bis er in der Dunkelheit nur noch als helles Glitzern auf dem Wasser zu erkennen war. Auch die anderen schrumpften, bis sie nur noch eine optische Täuschung inmitten der Wellen waren. Ich kauerte mich zusammen, umschlang meine nackten Knie,

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