Seeherzen (German Edition)
bloß nichts vormachen, kleiner Daniel», sagte Fisher und reckte sich an Dad vorbei, der ihm gegenüberstand. «Es sieht vielleicht aus wie das Gelobte Land, aber nichts geht über Rollrock, nichts geht über die Heimat.»
Dad drückte – für Fishers Augen unsichtbar – meine Schulter. Wollte er, dass ich Fisher aufmerksam zuhörte oder nicht auf ihn achtete und aufs Festland flüchtete, sobald ich nur konnte?
Wir standen im eisigen Herbstwind an der Reling. Mum hatte mir heute Morgen Pomade in die Haare gekämmt; im Spiegel hatte ich zugesehen, wie sie mein Haar auf beiden Seiten des hellen Scheitels zu zwei schmierigen Wellen formte. Seitdem fühlte sich mein ganzer Kopf kalt und zerkratzt an, und der Wind hatte meine Kopfhaut samt Ohren zu einer tauben Sturmhaube gefroren.
Langsam erhob sich das Land und breitete sich am Horizont aus: zwei abgerundete Hügel, um die sich zu beiden Seiten weitere kleinere scharten, als wären es ihre Bediensteten. Unter uns schwappte und tanzte das Meer. Während die Sonne aufstieg, bläute der Himmel noch stärker nach, und an Land tauchten Umrisse auf, bewaldete Flächen und Felder. Dächer und Straßen schimmerten. Dann erschienen die schwarzen Felsformationen vor uns und verdeckten vorübergehend alles, bis sie sich voneinander trennten und erneut den Blick auf das Festland freigaben, das nun noch näher und schillernder zwischen den Heads hervorschaute.
Nichts, dachte ich, konnte aufregender sein, als zwischen diesen beiden Felsköpfen hindurchzutuckern. Cordlins Hafen breitete sich zu beiden Seiten aus, wirkte glatt und gelassen nach der aufgewühlten See, dem Klatschen der Wellen am Fuße der Klippen. Reihe um Reihe lagen die Boote längsseits der Landungsstege verankert, andere schunkelten lockerer vertäut weiter draußen im offenen Wasser, jedes Segelboot und jeder Schlepper, jedes kleine Freizeitboot küsste sein morgendliches Spiegelbild. Cordlins Innenstadt säumte dicht gedrängt den Hafen und überzog die umliegenden Hänge, weiter hügelaufwärts lagen vereinzelte Landhäuser und Scheunen wie verkleckerte Milchtropfen um eine Schüssel mit Haferbrei. Die vorderen Fenster zwinkerten uns zu, die großen Kornkammern und Wolllager mit ihren vergitterten Fenstern und dem rot-weißen Mauerwerk ragten vor uns in die Höhe, und zum ersten Mal wurde mir klar, wie bescheiden meine Heimatinsel war, gemessen an diesem Zentrum des Wohlstands und des Handels.
«Wir nehmen den Bus», sagte Dad zu mir. «Er fährt direkt am Pier ab. Siehst du ihn da drüben?»
«Dann gucken wir uns die Stadt hier gar nicht richtig an?», fragte ich. Sie schien so viel Sehenswertes zu bieten – mit ihren Lagerhausfassaden in vorderster Reihe, mehreren Kirchtürmen dahinter und der beflaggten Burg ganz oben. Blitzende Lastwagen und Automobile glitten am Ufer entlang.
«Kannst du mit dem Jungen nicht zumindest kurz über die Vergnügungsmeile am Hafen schlendern, Mallett?», fragte Fisher lachend. «Und ihm im Laden von Mrs. Hedley wenigstens ’nen Himbeerlolli kaufen?»
«Wir sind geschäftlich hier», antwortete Dad mit einem Lächeln und schüttelte den Kopf. «Der Markt in Knocknee wird dem Jungen als Abwechslung reichen müssen.»
Alle Fröhlichkeit wich aus Mr. Fishers Gesicht. «Ja, richtig. Ihr seid ja nicht zum Vergnügen hier, um Süßigkeiten zu kaufen und rumzubummeln.» Er warf mir einen wachsamen und Dad einen besorgten Blick zu. «Na, dann mal viel Glück dafür, Dominic!»
Als das Boot im Hafen vertäut war und die Passagiere mit schlurfenden Schritten auf den Landungssteg zusteuerten, ließ Fisher gewichtig eine Hand auf meine Schulter sinken, als gingen wir zu einer Beerdigung oder als begäben wir uns in die Hände eines Chirurgen, dessen Behandlung wir vermutlich nicht überleben würden.
Der Bus war ein wunderbares glänzendes Ding, cremefarben und grün lackiert, mit einer Plakette an der Seite und einem Nummernschild hinten. Im Bus saßen schon Leute – Leute aus Cordlin, die jeden Tag mit Bussen fuhren – und warteten darauf, dass Dad und ich, festgeklammert an seine Hand, einstiegen, bezahlten und auf den leuchtend roten Sitzen Platz nahmen.
Die Fahrt nach Knocknee war voller neuer Eindrücke und Erlebnisse, die schlagartig aufeinanderfolgten, sodass meine Nacherzählung, die ich im Kopf bereits für Mum einstudierte, schnell durcheinandergewirbelt wurde und dann ganz verstummte. Ich klebte am Fenster und war froh, dass Dad über mich hinwegsehen und
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