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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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und drehte sich mit schwingendem Seetangschwanz weg.
    «Um was für eine Art Decken handelt es dich denn?», schrillte die Stimme der rosawangigen Dame. «Solche habe ich noch nie gesehen.»
    Bessie setzte zu einer Erklärung an, doch ihr älterer Sohn Sumner kam von den Molenfelsen herübergesprungen. «Nein, Mum», sagte er. «Du brauchst das nicht zu erklären.» Er warf der Cordlin-Frau einen Blick über die Schulter zu, dann rief er erklärend zu ihnen hinauf: «Sie haben eine besondere Funktion bei uns zu Hause. Aber das ist Privatangelegenheit.»
    Privatangelegenheit
. Das Wort kannte ich nicht, doch seine Bedeutung erkannte ich sofort als Drohung den Damen gegenüber.
    Die rosawangige Dame beäugte die Decken im Wasser. «Aber woraus sind sie denn gemacht? Können Sie mir das sagen?» Sie warf ihren Freundinnen einen Blick zu, der wohl sagen sollte:
Was glauben die, wer sie sind, dass sie meinen, Privatangelegenheiten haben zu dürfen?
Die Freundinnen kicherten.
    «Aus Seegras», sagte Sumner.
    «Seegras!», rief eine andere Frau. «Wie raffiniert! Ist das eine Fertigkeit, die sie aus dem Meer mitgebracht haben?»
    «Ach, i wo, Elgin!», sagte eine von ihnen. «Hast du vielleicht schon einmal von Robben gehört, die
weben
können?»
    Sumner deutete auf Misskaella. «Sie macht sie. Sie häkelt sie. Unsere Dads kaufen sie ihr ab.»
    «Verscheucht sie mir nicht!», ertönte die Stimme eines Mannes. Alle Köpfe schwangen herum, sahen zu, wie er am Ufer entlang auf die Mole zueilte. Er trug einen Kasten mit einem Stock daran – oder mit mehreren Stöcken, die zusammengebunden waren. Er näherte sich den Cordlin-Damen, setzte die Stockenden ab, begutachtete die Mums und ihre Decken, hob die Stöcke wieder auf und flitzte ein Stück weiter auf die Mole hinaus. «Hier ist es besser. Das Licht ist indirekter, da gelingt eine künstlerischere Komposition.» Damit klappte er die Stöcke auseinander und verwandelte sie in eine Art Ständer für den komischen Kasten. An der Vorderseite besaß er einen Kreis, der wie ein flaches schwarzes Auge aussah.
    «O nein», sagte Sumner, allerdings so leise, als wüsste er, dass er sowieso keinen Einfluss auf diesen geschäftig herumwuselnden Mann aus Cordlin hatte. Er drehte sich um und warf einen Blick zu Wholemans Pub hinauf, wo sich einige Dads aufhielten. Sie ahnten sicher nichts, weil das Boot so früh eingelaufen war; er blickte hilfesuchend zu Fishers Laden hinüber, doch die Männer dort unterhielten sich gerade mit dem Bootskapitän der
Fey
und drehten uns den Rücken zu.
    Der Mann schnallte den Kasten ab, fächerte die Vorderseite auf wie bei einer Ziehharmonika und warf ein schwarzes Tuch über Kasten und Holzbeine. Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden, er war so energisch und geheimnisvoll. Was er wohl als Nächstes vorhatte?
    Doch da stieß Misskaella einen Pfiff aus.
    «Nanu, was ist denn los?», fragten die Damen.
    «Ja, was ist los? Die Mums haben doch gerade erst angefangen», sagte Os Cawdron von unten zu mir herauf. «Sie sind noch nicht fertig.»
    Doch Misskaella hatte nicht gepfiffen, um das Waschen der Trostdecken zu beenden. Die Dads, die am Anleger standen, drehten sich zu ihr um. Sie sahen den Mann mit dem Kasten und rannten los. Oben bei Wholemans Pub strömten die Männer zur Tür heraus und liefen am Ufergeländer entlang. Zwei von ihnen duckten sich darunter durch und hasteten nach unten.
    «Oje, Mr. Thornly», sagte eine der Damen, «ich glaube, sie wollen nicht, dass Sie Fotografien von ihren Frauen machen.»
    Ah, Fotografien … Mr. Paste hatte uns in der Schule davon erzählt. Dann war das da also eine Kamera – ein Kasten, um das Licht draußen zu halten, und ein Auge, um das Licht hereinzulassen.
    «Entschuldigen Sie, Sir!», rief Mr. Bannister, der gerade vom Uferweg auf die Mole einscherte, «so was lassen wir hier nicht zu.»
    Der Fotograf unterbrach die Tüftelei an seinem Kasten, richtete sich auf und sah die Schar Männer auf sich zueilen. Wenige Meter von ihm entfernt blieben sie stehen, und bei ihrem Anblick schoben sich die Damen aus der großen Stadt näher zusammen. Neben ihren Cordlin-Kleidern wirkte der Aufzug unserer Väter dunkel und nicht besonders sauber; neben ihren schmalen samtigen Gesichtern sahen die unserer Dads zerknittert und ebenfalls dunkel aus. Es ist aber kein Schmutz, verteidigte ich sie im Stillen; es kommt von der Sonne, vom Wind und Wetter – und bei einigen vom Whiskey, gestand ich mir ein.
    Der

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