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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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kriegen.»
    Ich starrte die Dinger an. Mittlerweile konnte ich ihre Umrisse in der Dunkelheit besser erkennen. Ich erschauderte. «Die Köpfe sind so fies verzogen.»
    «Es sind aber eher Umhänge als Mäntel, oder?», fragte Angast neben mir. «Sie haben keine Ärmel, zumindest sehe ich keine.»
    «Aber sie laufen unten zusammen», hauchte Toddy Marten mir über die Schulter. «Das macht ’n Umhang nicht.»
    «Es sind weder Umhänge noch Mäntel», sagte Grinny bestimmt. «Es sind Felle, Robbenfelle, deshalb sehen sie auch aus wie Robben.»
    «Von unseren
Mums
?», fragte Kit ungläubig.
    Aber ich wusste, dass er recht hatte. Mit der Wucht einer Flutwelle, die am Forward Beach aufschlägt, traf mich die Erkenntnis.
Ich komme aus dem Meer
, hörte ich Mum sagen. Ich hatte immer angenommen, sie meinte, dass sie von einem Boot dort draußen gekommen war; ich hatte mir vorgestellt, dass jede unserer Mums ihr eigenes Boot besaß und dort mit wehendem Haar hinterm Steuer stand, das Gesicht strahlend vor Glück, weil sie auf See war und das Kommando hatte. Aber nein, in Wahrheit war es das hier; das verrieten mir der Geruch nach Meer und der, der darin mitschwang – nach Tier. Es roch exakt wie Mum, wenn sie sich in ihre Trostdecke eingekuschelt hatte. Nur dass Mum warm war, während uns der Geruch, der hier zur Tür herausgeströmt kam, eiskalte Schauder über den Rücken laufen und uns alle zu einem einzigen Eisklumpen verschmelzen ließ.
    Aus der Mitte unseres Gedränges zischte Johnny Baker: «Kann jemand die
Erdnüsse
sehen?»
    Dass er selbst in dieser Situation nur an seinen Magen denken konnte, riss uns aus unserer andächtigen Stimmung. Ein paar prustende Laute waren zu hören und: «Johnny, ein bisschen mehr
Respekt
bitte!»
    «Kommt, wir gucken mal nach», sagte Aran mit aufgesetztem Mut, und einige von uns folgten ihm in den Lagerraum – viele von uns passten allerdings nicht hinein, weil die Pelze den Platz fast vollständig für sich beanspruchten.
    «Ganz schön merkwürdig, die Dinger, oder?», fragte Angast inmitten der düster schimmernden Umrisse. «Fast wie Menschen.»
    «Sie sind
schön
», sagte Raditch. «Alle unterschiedlich gefleckt. Und weich. Fühlt mal!»
    «Schön und weich, genau wie eine Mum», sagte Grinny von der Tür herüber. Ein paar Jungs kicherten, ein paar knufften Grinny geräuschlos.
    «Ich wünschte, ich könnte mehr
sehen
», sagte Raditch. «Dann wären die Köpfe auch bestimmt nicht mehr so gruselig. Was haben sie bloß damit gemacht?»
    «Nimm einen mit raus», schlug Angast vor, «ins bessere Licht.»
    Erleichtert ging ich vor ihm auf den Ausgang zu. Dieser Raum war zu viel für mich – das Geraschel der dicht gedrängt hängenden schweren Dinger darin, die uns zusammenquetschten. Während wir uns an ihnen vorbeidrückten, gaben sie Geräusche von sich, als wären sie lebendig – sie seufzten, quiekten, und aus ihren Kehlen erklang ein Schnalzen. Und ihr unglücklicher Geruch, der schwer in meiner Brust hing, fühlte sich mehr nach Wasser an als nach Luft.
    Es gelang uns, eines der kleineren Felle mit nach draußen zu nehmen. Aran zog den runden Holzaufhänger heraus, der den Kopf des Pelzes in Form gehalten und dessen Haken aus der Mundöffnung herausgeragt hatte. Wir reichten ihn von Junge zu Junge weiter, und jeder strich einmal über das düster glänzende Mantelmaterial, dessen Muster verblichener war als bei einer lebendigen Robbe. Und jeder Junge probierte die Haut einmal an, außer Kit Cawdron, der partout nicht wollte. Das Gefühl beim Überstreifen der Haut war unbeschreiblich. Es war, als fände man sich urplötzlich auf dem schleimigen Meeresgrund wieder, über einem nichts als schwarzes Wasser.
    «Wie können sie bloß in den Dingern
schwimmen
?», fragte Raditch, steckte den Ellbogen in eine Flosse und wedelte damit herum.
    «Sie sind fest damit verbunden», erklärte Aran. «Und außerdem werden sie vom Wasser getragen, das wisst ihr doch. Ihr habt doch schon genug Robben gesehen.»
    Jakes Trumbell stülpte sich als Einziger das Kopfteil über. Aber als er uns durch die Augenlöcher anstarrte und auf uns zutaumelte, hielten wir ihn auf, denn er hatte dunkle Augen wie eine Mum, und es war einfach zu unheimlich.
    «Der
Geruch
», sagte er, während er sich die Haut abstreifte. Ich schnupperte am Ärmel meines Wollpullovers, um zu prüfen, ob der Geruch an mir haften geblieben war. Schwer zu sagen. Die ganze Luft dort, der ganze Flur, glomm im späten

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