Seeherzen (German Edition)
auf, fuhr zischend durch die Decken und zog sich wieder zurück. Bei dieser Beschäftigung waren unsere Mums immer fröhlich, und wir Jungs hielten uns gern in ihrer Nähe auf, kletterten überall herum, in unsere eigenen Spiele vertieft, während sie sich unterhielten und ihre verschiedenen Sprachen miteinander vermischten, um sich gegenseitig zum Lachen zu bringen. Wie festgewachsen saßen sie dort und sahen mit einer solchen Inbrunst auf das wogende Meer hinaus, dass man sich gut vorstellen konnte, sie würden wie die Felsen die ganze Nacht über dortbleiben, um versonnen auf die schwarzen Wellen zu blicken, während das Wasser und die gehäkelten Seegrasdecken schlürfend um sie herumdümpelten.
Misskaella stapfte immer wieder vom einen zum anderen Ende der Mole, und Trudle hüpfte neben ihr her. In den Gürteln beider Frauen steckten jede Menge Seegrasstränge und baumelten wie seltsame Seitenschwänze an ihnen herab. Die Mums ließen die Decken langsam über ihre Knie gleiten, um das Gewebe auf Unregelmäßigkeiten und Abnutzung zu überprüfen, und schenkten den beiden keine Beachtung, riefen sie nur gelegentlich herbei, wenn sie einen Seetangfaden brauchten. Auf der Mole liefen immer ein paar Jungen herum und spielten; bereitwillig brachten sie die Seetangstränge von Hexe zu Mum und wurden zum Dank von den Mums liebevoll in die Wange gekniffen oder bekamen einen Kuss auf den Kopf gedrückt.
Es war ein herrlicher sonniger Tag, noch sehr früh am Morgen, und die Mums waren unter kleinen Schmerzensrufen mit nackten Füßen über die Felsen geklettert, hatten schwungvoll ihre Decken auf dem Wasser ausgebreitet und nahmen gerade auf den Steinen drum herum Platz, als ausgerechnet ein Boot aus Cordlin am Landungssteg festmachte – es war viel zu früh dran – und Besucher aus Cordlin ausspuckte. Sie waren mit Picknickkörben ausgerüstet, die Frauen trugen Sonnenschirme, die Männer vornehme Hüte und spiegelblank polierte Stiefel.
Und schon kamen die Damen vom Landungssteg auf die Südmole zugeströmt. Es war recht windstill, und ihre Stimmen waren so deutlich zu hören, als befänden wir uns im selben Raum:
Sind das da … diese Wesen? Die Robbenfrauen?
Ich schätze schon. Was machen sie da wohl?
Offenbar waschen sie gerade etwas. Sie waschen …
Ja, was genau waschen sie da eigentlich, Davina?
Komm, wir gehen näher ran und sehen es uns an.
Die Gespräche der Mums waren verstummt; neugierig wandten sie den Besuchern die Gesichter zu. Ich saß auf denSteinen an der Mole, und die Cordlin-Damen liefen etwas oberhalb von mir den Weg entlang. Wie kompliziert ihre Kleider aussahen! Und wie phantasievoll sie ihr glänzendes Haar – braun, goldblond und rot, so wie bei einigen von uns Jungs – hochgesteckt und auf dem Kopf zusammengerollt hatten! Ich folgte ihren Blicken bis zu unseren Mums weiter unten, denen die Trostdecken um die Füße trieben und deren Gesichter nicht ansatzweise so verschlossen waren wie die der städtischen Damen. Sie offenbarten ihr ganzes Seelenleben, all ihre Gedanken und Gefühle, wie auf einem Silbertablett und ließen die Damen nach Belieben zugreifen. Es schien ihnen gar nicht in den Sinn zu kommen, dass die Frauen über sie lachen oder sie nicht verstehen könnten. Die Mums hielten ihre Decken fest, einige strichen immer noch über das Gewebe, als ob sie es untersuchten, obwohl ihre Augen nicht mehr der Aufgabe zugewandt waren. Die kleinen Wellen kräuselten die nassen Decken und ließen sie im Sonnenlicht funkeln. Man sah die nackten Schienbeine einiger Mums, von der Sonne gesprenkelt, vom Wasser verkürzt und grün gefärbt.
Auch unter den Cordlin-Damen breitete sich Stille aus. Misskaella und Trudle standen ganz hinten am Ende der Mole; hätte Misskaella schwimmen können, wäre sie bestimmt sofort ins Meer gesprungen und davongeschwommen. Wir Jungs sahen uns an. Einige verzogen das Gesicht, andere warteten einfach ab.
Schließlich trat eine der Damen, eine ältere mit rosafarbenen Puderwolken im Gesicht, an den Rand der Mole. «Was waschen Sie denn da, gute Frau?», wollte sie mit klarer, befehlsgewohnter Stimme von der Mum wissen, die ihr am nächsten saß – Bessie O’Day.
«Unsere Decken», antwortete Bessie, wobei ihre Stimme im Vergleich so schlicht klang, dass ich mich für sie schämte. «Wir waschen sie aber nicht», fuhr sie fort, «wir weichen sie ein. Und flicken sie.» Sie deutete mit der Hand zu den Hexen hinüber; Misskaella verschränkte die Arme
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