Seeherzen (German Edition)
ich hatte keine Ahnung, wie es gewesen war, was ich darüber denken, was ich sagen sollte.
«War’s nett, mit ihr zu reden?»
Ich rutschte mit dem Hintern zurück, um aufrechter zu sitzen. Kühe flogen vorbei, einige reckten die großen Köpfe und glotzten uns an. «Sie war ganz nett, glaub ich.» Hatte ich das Recht, jemanden, der mir so fremd war, zu mögen oder nicht? Ich fühlte mich heute wie der riesige leere Frachtraum eines Fischdampfers, in den nach und nach die Fische und Seewürmer der ganzen Welt hereingepurzelt kamen. «Wir haben uns nur kurz unterhalten.»
Irgendwas war doch mit diesen Rollrockfrauen, oder?
Ich sah wieder die zusammengekniffenen Augen des Mädchens vor mir, die drahtigen Haare, die leuchtend ihren Kopf umgaben. Mit einem Schlag wünschte ich mir nichts sehnlicher, als bei
diesen Rollrockfrauen
zu sein; ich hatte genug von dem Abenteuer heute. Ich wünschte, ich wäre wieder ganz klein und läge zusammengerollt auf Mums Schoß, während ihr andauernder summender Gesang mich in dem ruhigen Zimmer umschwirrte und Dad zum Fischen oder in Wholemans Pub gegangen war.
Trudles Blick schweifte über die ländlichen Gegenden des Festlands. Sie schien es nicht für nötig zu halten, mit uns zu reden; sie hätte ebenso gut allein unterwegs sein können, so wenig Beachtung schenkte sie uns. Am Kai angekommen, marschierte sie uns voran an Bord des Schiffes, als gehörte es ihr, und blieb während der gesamten Fahrt über den Strait aufrecht und mit fröhlichem Gesichtsausdruck stehen.
Sobald wir in Rollrock an Land gegangen waren, schickte mein Dad mich nach Hause. Mr. Fisher gab mir eine Zitrone für meine Mum mit; ich bohrte den Fingernagel in die Schale und roch den ganzen Weg bergauf durch die Stadt daran, um den Trudle-Geruch aus meiner Nase zu vertreiben.
Wie ich mir später aus aufgeschnappten Gesprächsfetzen zusammenreimte, hatte man Trudle wie versprochen und ohne Gejammer bei Misskaella abgeliefert. Von da an bildeten die beiden ein festes Gespann – wie ein Mehltopf und eine etwas kleinere Teedose. Beide trugen Hexenkleider, die an den Armen und in der Taille eng anlagen und dann wie Glockenblumen aufgingen und fast bis zum Boden reichten; oben Käfig, unten Blume – wie ich es bei den Frauen in Knocknee und Cordlin gesehen hatte, die
auf ihr Äußeres bedacht
waren. Die Haare der einen leuchteten im Sonnenschein schmutzig orange, die der anderen waren überwiegend weiß wie Frost, nur ein paar rötliche Flecken verrieten, welche Farbe sie ursprünglich einmal gehabt hatten. Und Misskaella trug ihr schütter werdendes Haar kurz, während Trudle ihres wachsen ließ, um zu betonen, dass nur sie Haare von solcher Farbe und Fülle besaß.
Misskaella war nie höflich, grüßte nicht einmal, wenn man ihrem Blick begegnete, und Trudle schaute sich dieses Verhalten schnell ab und übernahm es, zumindest den Mums und Kindern gegenüber. Für die Männer verzog sie die Mundwinkel zu etwas, das als Lächeln durchgegangen wäre, hätte es nicht so halbherzig und verschlagen gewirkt. Ganz offensichtlich genoss sie es, unsere Männer zu verspotten. Die hätten lieber so getan, als würden sie sie nicht sehen, doch Trudle stellte sich ihnen einfach in den Weg und warf ihnen einen Gruß zu.
Doch meistens folgte Trudle ihrer Meisterin durch die Stadt und die umliegenden Landstriche. Misskaella allein hatte uns schon genug Angst eingejagt; jetzt gab es zwei von ihrer Sorte – die kleine Dose trippelte der großen hinterher, übernahm und verstärkte den krautartigen Kloakengeruch der Hexe. Zwei Glocken auf Beinen, die uns scheppernde Schauder über den Rücken jagten; zwei struppige Blumen, die über den Aussichtshügel krochen und sich schemenhaft am Himmel abzeichneten. Manchmal hielten sie sich auch an der Südmole auf, wo Misskaella aufs Meer oder zum Dorf hinaufblickte und Trudle vornübergebeugt und mit ausgestrecktem Hinterteil Fischschuppen für ihr Hexenwerk zusammenklaubte. Oder sie zogen als grausiges Duo über die Feldwege, den finsteren Blick starr geradeaus gerichtet, und taten so, als bemerkten sie gar nicht, wie wir Jungs an die gegenüberliegende Wand gepresst einen zaghaften Gruß murmelten, wenn sie an uns vorbeikamen.
An schönen Tagen gingen unsere Mums gemeinsam zum Meer hinunter, um ihre Trostdecken zu waschen. Sie setzten sich auf die Felsen am vorderen Teil der Südmole und vergruben die Zehen im gehäkelten Seetang. Das Wasser rauschte heran, bauschte sich
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