Seejungfrauen kuesst man nicht
Lederflicken an den Ellbogen abgehalten, der aussieht wie ein Lehrer. Er verrät sich sofort als Laie, als er den Mund aufmacht und erklärt, dass alle hier versammelt sind, um sich an das Leben von Elizabeth Cromer zu erinnern und es zu feiern. Als er »Elizabeth« sagt, wird die gesamte Gemeinde steif. Birdie hat ihren richtigen Namen nie benutzt. Die Hälfte der Anwesenden kennt ihn wahrscheinlich nicht einmal, aber niemand hat den Mut oder die Geistesgegenwart, ihn zu korrigieren, und er darf diesen schrecklichen Fehler noch verstärken, indem er die ganze Zeit von einer völlig Fremden spricht. Elizabeth wollte Anwältin werden; Elizabeth diskutierte gern über Politik; Elizabeths Freunde werden uns jetzt etwas vorlesen. Überall um uns herum spüre ich, wie die Leute sich jedes Mal, wenn der Name kommt, dagegen wappnen. Eine Schulfreundin von Birdie übernimmt das Pult, um ein Gedicht von Christina Rosetti vorzulesen, und eine andere liest »Fürchte nicht mehr Sonnenglut« mit einer Stimme, die nicht zittert.
In meiner Kehle ist ein Gefühl der Enge, das ich durch Schlucken nicht loswerden kann. Die mutigste Darbietung von allen kommt von einem etwa fünfzehnjährigen Mädchen, das mit einem zarten Sopran ohne Begleitung die Arie »Ach, ich fühl‘s« aus Die Zauberflöte singt, die schließlich die Dämme brechen lässt. Das Taptap ihrer Schuhe auf den Platten, als sie zu ihrem Platz zurückkehrt, wird von gedämpften Schluchzern und erstickten Lauten begleitet. Ich spüre, dass meine Augen zu brennen beginnen, und ein Prickeln oben in meiner Nase, das mich ein paar Sekunden vorwarnt, bevor die Tränen kommen, und jetzt, wo ich einmal zu weinen angefangen habe, kann nichts die Flut aufhalten.
Vor mir wischt sich Rad mit seiner Manschette über die Augen und sackt noch weiter nach vorn; Frances Schultern heben und senken sich. Die Hitze in der Halle ist unerträglich. In der Minute zum stillen Gedenken ertönt neben uns ein Poltern: Jemand ist ohnmächtig geworden und wird nach draußen getragen. Der plötzliche kühle Luftzug von der offenen Tür scheint das Salzwasser auf meinen Wangen in Säure zu verwandeln, und meine Haut lodert auf.
Obwohl wir unter den Ersten sind, die hinausgehen, halten Vater und ich uns zurück, bevor wir der Prozession zu der Grabstelle folgen. Es ist ein langer Weg über den Friedhof, und als der Sarg beim Grab angekommen ist, hat die Menschenmenge sich zu einer langen Reihe aufgelöst. Vater bietet mir ein großes, weißes Taschentuch an - eins von denen, die ich im Zuge des Beschäftigungstherapieprogramms meiner Mutter sorgfältig gebügelt habe. Auf dem Weg fällt mir auf, dass ein paar von Birdies Freunden mich von der Seite ansehen und über diese unerklärliche Ähnlichkeit verblüfft sind. Ich halte den Kopf hoch, trage meine Ähnlichkeit stolz zur Schau. Sollen sie sich ruhig wundern.
Die Leute stehen zu fünft hintereinander ums Grab herum, deshalb bleibt mir der Anblick erspart, wie der Sarg hinuntergelassen wird. Stattdessen sehe ich hinauf zum Himmel und beobachte, wie die wenigen Wolken über die Sonne geweht werden.
Wo bist du? denke ich. Während des Gottesdienstes ist nicht vom Jenseits gesprochen worden. Nur Birdies Vergangenheit darf eine Rolle spielen, was mir grausam erscheint. Bei einem Anlass wie diesem kann doch bestimmt auch ein Nichtgläubiger einen Hoffnungsschimmer zulassen? Auf dem Gras neben uns liegen mehr Blumen, als ich je gesehen habe: Die einzelnen Kränze und Sträuße sind dicht zusammengelegt worden, damit sie nicht die benachbarten Grabstellen überfluten; es sieht aus, als könnte man das ganze Gebilde an einer Ecke hochheben und übers Grab legen wie eine Flickendecke.
Mir wird erst klar, dass es vorbei ist, als die Menge sich langsam auflöst. Mädchen bilden Grüppchen, die sich aufeinander stützen; sie stecken die Köpfe zusammen wie Verschwörer. Weiße Taschentücher flattern im Wind wie Friedensfahnen. Vater seufzt schwer und zieht an seinem Bart; er denkt die Gedanken, die zu tief für Tränen liegen. Ich kann nicht mehr weinen, jedenfalls im Moment nicht. Ich fühle mich ausgewrungen wie ein alter Scheuerlappen. Auf dem Weg zum Auto kommen wir an Frances und Rad vorbei, die mir zunicken, wie jemandem, den sie einmal kannten.
In jener Nacht wache ich gegen vier Uhr morgens mit trockenem Mund und wild pochendem Herzen auf, weil eine große Platte aus Schmerz schwer auf meiner Brust lastet.
Ich habe die Vorhänge nicht richtig
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