Seejungfrauen kuesst man nicht
habe durch Zufall Rad getroffen. Erinnert ihr euch an Rad?«
»Oh«, sagte Mum, die einfach enttäuscht sein musste. Es wäre unmöglich für mich gewesen, Simon Rattle zu übertrumpfen. »Ich habe den Jungen nie gemocht. Ich fand, dass er dich entsetzlich behandelt hat.« In dieser Phase konnte ich mich nicht erinnern, was sie über die wahren Umstände unseres Bruchs wusste, deshalb konnte ich ihr nicht mit Sicherheit widersprechen.
»Was macht er denn?«, fragte Dad, der spürte, dass Mutters demonstrativer Groll nicht die Reaktion gewesen war, die ich mir erhofft hatte.
»Er war in den letzten fünf Jahren im Senegal und hat für eine Wohltätigkeitsorganisation gearbeitet, die dort Wasserhilfsprojekte durchführt.«
Bei dem Wort Senegal rollte Mutter beunruhigt mit den Augen. »Tja, mach um Himmels willen keine Dummheiten. AIDS ist in Afrika eine wahre Seuche.«
»Mutter!« sagte ich, schockiert darüber, wie schnell sie an Sex dachte. »Ich habe nur ein paar Worte mit ihm gewechselt. Er hat sogar nach euch beiden gefragt.«
»Ach wirklich?«, sagte sie leicht besänftigt.
»Hast du herausgefunden, was Frances jetzt macht?«, fragte Vater. Er hatte sie immer gemocht.
»Sie lebt in Australien.«
»Senegal. Australien. Sie sind ganz schön rumgekommen, was?«, sagte Mutter.
Im Gegensatz zu mir, dachte ich.
»Sie ist mit einem Chirurgen verheiratet.«
Mutter zog die Augenbrauen hoch. »Sie hat es gut getroffen.« Als Australien erwähnt wurde, hatte sie sich garantiert gedacht, dass Frances in wilder Ehe mit irgendeinem sonnengebräunten Schaffarmer oder einem Surflehrer zusammenwohnte. »Ihre Mutter wird sie vermissen. Ich hoffe, du kommst nicht auch auf die Idee, auszuwandern.«
»Ich wette, sie besucht sie jedes Jahr«, sagte ich und ignorierte ihre letzte Bemerkung. »Insbesondere weil Frances Kinder hat. Irgendwie kann ich mir Lexi nicht als Großmutter vorstellen.«
»Man kann sich nicht vorstellen, dass sie Bettjäckchen strickt«, stimmte Vater zu.
»Es gibt keine Gerechtigkeit«, sagte Mutter, eine eifrige Strickerin.
Als ich sie verließ, kurz bevor es Zeit zum Abendessen war, fuhr ich in die Balmoral Road und parkte vor dem Haus - etwas, das ich noch nie getan hatte. Heutzutage habe ich keinen Grund, in diese Richtung zu fahren; ich komme dort nie hin. Das Haus war so verändert worden, dass ich es kaum wieder erkannte. Das tabakfarbene Backsteinmauerwerk war mit Steinen verkleidet worden, damit es zu Fish und Chips‘ Seite passte, und Aluminiumfenster mit Imitationen von Bleiglaslichtern ersetzten die alten Schieberahmen aus Holz. Die Bleistreifen waren nicht ganz parallel, was dem Glas das Aussehen eines prall gefüllten Netzes verlieh. In der Auffahrt war ein auseinander genommenes Auto aufgebockt; die Einzelteile lagen überall auf dem Mosaikpflaster verstreut. Wenigstens war der tote Kaktus vom Fenstersims verschwunden.
Ein Auto hupte: Ich blockierte die Nachbareinfahrt. Ich setzte zurück und winkte entschuldigend, und als das Auto an mir vorbeifuhr, sah ich Fish am Steuer, und eine Frau mittleren Alters - nicht Chips - neben ihm. Er sah mich an und dann noch einmal, bis er mich wieder erkannte. Ich bin inzwischen aus dem Alter heraus, in dem man schlechte Manieren hat, deshalb fuhr ich nicht mit aufheulendem Motor davon, sondern wartete lächelnd, bis er an meine Tür kam, womit ich fest gerechnet hatte. Er sah nicht so viel älter aus - er hatte vielleicht weniger Haare, aber ich hatte mich sicher mehr verändert.
»Hallo«, sagte er, als ich das Fenster runterkurbelte. »Sie sind Dingsda, stimmt‘s? Frances Radleys Freundin.«
»Stimmt. Ich kam gerade vorbei, und dachte, ich schau mir mal das Haus an. Nostalgie, Sie wissen schon.
»Sie sind schon vor Jahren weggezogen«, sagte er. »Sehen Sie die Familie ab und zu noch?«
»Nicht mehr. Wir haben den Kontakt verloren.«
»Seltsame Leute«, sagte er, ermutigt durch dieses Eingeständnis. »Ich werde diesen Hund nie vergessen - verdammt große Geschwulst an der Seite. Ich weiß nicht, wieso sie ihn nicht zum Tierarzt gebracht haben, um es in Ordnung zu bringen.«
Ich lächelte. Es war nicht meine Aufgabe, ihren Umgang mit Haustieren zu verteidigen. »Wie geht‘s Ihrer Mutter?«, fragte ich.
»Sie ist seit meiner Heirat in einem Heim. Wir haben sie gerade besucht.«
Seine Begleiterin war inzwischen aus dem Auto gestiegen und stand ungeduldig mit verschränkten Armen am Vorbau. Sie trug glänzend weiße, kniehohe Stiefel,
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