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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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ich. »Da hat sie ja Glück gehabt.« Rad sah verdutzt aus. »Ich habe nur an ihr Tattoo gedacht. Ihr semi-permanentes Tattoo.«
    Er lachte bei der Erinnerung daran. »Das wäre kein Problem. Er ist plastischer Chirurg.«
    »Was macht sie denn?«
    »Sie ist Kindergärtnerin.« Ich brauchte ein paar Minuten, um diese Information zu verdauen. Frances Kindergärtnerin. Ich erinnerte mich vage an etwas, was Lawrence einmal gesagt hatte: »Warte nur, sie wird noch zu einer Stütze der Gesellschaft werden.«
    Es schneite jetzt stärker. Rads Haare waren mit grauen Flocken gesprenkelt, und auf meinem Cello wuchs ein spitzenartiges Scheitelkäppchen. »Hast du ihre Adresse? Ich würde ihr sehr gern schreiben.«
    Seine Hand wanderte zu einer Tasche in seiner Jacke, die mit einem Reißverschluss verschlossen war. »Ich kannte sie auswendig, aber sie sind gerade umgezogen. Hör zu, gib mir deine Adresse und dann schicke ich sie dir.« Er gab mir einen fünf Zentimeter langen Stummel von Wachsmalstift. »Ich habe kein Telefon«, fügte er entschuldigend hinzu. Ich widerstand dem Drang, meine Handtasche auf dem Bürgersteig auszukippen, und durchsuchte schicklich das Durcheinander, bis ich einen alten Kassenzettel fand, auf den ich meine Adresse malte, wobei ich Schneeflocken von seiner feucht werdenden Oberfläche wischte. Meine Telefonnummer schrieb ich nicht auf. Ich dachte, das wäre vielleicht übertrieben.
    »Ich nehme nicht an, dass es Growth noch gibt?«, sagte ich.
    »Nein, er ist tot. Als Dad das Haus verkauft hat und in eine Wohnung gezogen ist, durfte er keine Haustiere mitbringen, deshalb musste Growth wieder zu Bill und Daphne. Aber er ist geflohen und wollte wohl zurück in die Balmoral Road; unterwegs wurde er von einem Auto überfahren.«
    »Oje.« Ich war mir nicht sicher, wie weit man zum Tod eines Hundes kondolieren konnte, der bereits dreizehn Jahre zurücklag. Armer Growth, dachte ich. Ein weiteres unschuldiges Scheidungsopfer. »Ich gehe jetzt besser«, sagte ich, als er den Papierfetzen sorgfältig in der Tasche mit Reißverschluss verstaute.
    »Tja«, sagten wir beide und lachten verlegen. Dann setzte er seinen Sturzhelm wieder auf, winkte mir mit der behandschuhten Hand zu und schwenkte das Motorrad herum. In dem Moment trat der Taxifahrer, der den Augenblick seiner Rache für gekommen hielt, das Gaspedal durch, fuhr mit aufheulendem Motor davon und ließ mich allein an der Bordsteinkante stehen, während der Schneesturm um mich herumwirbelte wie Konfetti.
    Zwei Tage später fiel eine Karte auf meine Eingangsstufe. Sie war in Staines abgestempelt und zeigte die Federzeichnung eines Hauses. »Das Schleusenwärter-Cottage, Penton Hook«, lautete die Bildunterschrift. Erleichtert nahm ich die Erste-Klasse-Briefmarke zur Kenntnis. Es wäre schwer, optimistisch wegen eines Mannes zu sein, der einen ein paar Tage länger warten lässt, nur um sechs Pence zu sparen. Oben drüber hatte Rad eine Art-Adresse geschrieben: Wentworth, Riverside, Laisham, was mich an ein herrschaftliches Anwesen mit Gärten, die sich bis hinunter zur Themse erstrecken, denken ließ. Die Nachricht selbst war kurz.
    Liebe Abigail, es war schön, dich gestern zu sehen. Hier wie versprochen:
    [gefolgt von fünf Zeilen mit Frances‘ Adresse in Brisbane]
    Schreib mal. Dein Rad
    Die nächsten fünf Minuten verbrachte ich damit, diese knappen Zeilen einer harten Analyse zu unterziehen, um sie nach Möglichkeit positiv interpretieren zu können. »Schreib mal« war zweideutig, oder auch nicht, wenn man berücksichtigte, dass er mich mit zwei Adressen ausgestattet hatte, und er hatte nicht versucht, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen, indem er den Namen Marcus benutzte. Aber ich war enttäuscht, dass er keine Andeutung gemacht hatte, und sei sie auch noch so vage, dass wir uns in Zukunft einmal treffen könnten. Er hatte nicht mal eine Frage formuliert, um mir einen Vorwand zu geben, ihm zu antworten. Aber ich würde antworten.
    Ich holte eine Schachtel mit Postkarten hervor, die mit meiner Adresse und Telefonnummer bedruckt waren, und suchte in einer Schublade voller roter Kulis und abgebrochener Buntstifte meinen Füller. Ich schrieb den Namen Rad ein paarmal auf ein Stück Schmierpapier, und dann Marcus, um zu sehen, was besser aussah. Oje, dachte ich, aus so was sollte ich inzwischen rausgewachsen sein. Meine Antwort durchlief mehrere Entwürfe und nahm fast den ganzen Vormittag in Anspruch.
    Lieber Marcus,
    danke, dass du mir

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