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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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abgeschwollen waren und sie wieder in der Schule erschien, war ich gezwungen, meine Position neu zu überdenken. Natürlich hätte ich Frances sagen müssen, dass Karen ihren Platz würde zurückhaben wollen - für territoriale Streitereien dieser Art gab es unausgesprochene Regeln. Aber ich wollte Frances als Freundin, und so bot sich ein Kompromiss an. Wir drei würden uns mit dem Zusammensitzen abwechseln, damit sich keine von uns lange ausgeschlossen fühlte. Frances akzeptierte dieses Arrangement, wie alle Nebensächlichkeiten des Lebens, mit vollkommener Gelassenheit. Karen hatte zuerst ihre Zweifel, da sie spürte, dass sie hinter ihrem Rücken ausmanövriert worden war, doch als sie sah, welche Achtung der Rest der Klasse Frances allein wegen ihrer Seltsamkeit entgegenbrachte, ließ sie sich erweichen. Das bereitete mir noch größere Sorgen, weil ich fürchtete, die beiden könnten gemeinsame Interessen entdecken, die mich ausschließen würden, und so versuchte ich, die Perioden meiner Verbannung an den Einzeltisch so zu arrangieren, dass sie mit den Stunden bei einer der strengeren Lehrerinnen zusammenfielen, die absolute Ruhe verlangte; damit war sichergestellt, dass sie keine Vertraulichkeiten austauschen konnten.
    Drei Mädchen können nicht lange miteinander befreundet sein: Der Instinkt, sich zu zweit zusammenzutun, ist zu stark. Und so war es auch bei uns. Obwohl nichts verabredet wurde, vielleicht nicht einmal gedacht, wurde Karen langsam, aber sicher weggedrängt, und diese stillschweigende Loyalität in einer Sache, die zwar ungewollt, aber trotzdem wirklich gemein war, diente nur dazu, Frances und mich mehr zusammenzuschweißen. Für mich, die nie zuvor eine Schwester oder eine richtige Freundin gehabt hatte, war es wie ein Wunder.
    Wie kann ich ihre starke Anziehungskraft auf mein elfjähriges Ich erklären? Vielleicht lag es daran, dass sie mich auf seltsame Art an meine alte Feindin, Sandra Skeet, erinnerte, nur dass sie nicht boshaft war. Beide hatten Selbstvertrauen und die Fähigkeit, von anderen Loyalität einzufordern, aber Frances setzte diese Qualitäten selbstlos ein. Vielleicht war es ihr Mangel an Schüchternheit, der mir gefiel. Ihr war fast nichts peinlich, während ich schon rot wurde, wenn ich nur im Korridor an jemandem vorbeiging. Oder vielleicht lag es einfach daran, dass sie interessanter war als ich: Sie unterhielt mich immer mit neuen Geschichten über ihre Familie, streute ohne jede Erklärung Namen und Querverweise ein, als würde ich sie alle bereits genauestes kennen, und nach ein paar Wochen kam es mir auch so vor.
    »Gestern Abend sollte eigentlich Lawrence zum Essen kommen ...«
    »Wer ist Lawrence?«
    »Einer von Mums alten Freunden - aber er ist zu spät gekommen, und das Lamm ist immer mehr angebrannt, und dann haben Fish and Chips mit ihrem Krach angefangen ...«
    »Fish and Chips?«
    »Unsere Nachbarn. Sie heißen nicht wirklich so, aber Dad lästert immer über sie, und die Wände sind ziemlich dünn, deshalb müssen wir Fish and Chips sagen, falls sie lauschen.« Anscheinend waren Fish and Chips, eine Mutter mit ihrem Sohn, eifrige Handwerker, die häufig zu aus- gesprochen unchristlichen Zeiten bohrten und hämmerten.
    »Gestern Abend war der Krach so schlimm, dass wir es aufgegeben haben, in ein Restaurant gegangen sind und erst um zwölf zurück waren - deshalb bin ich auch so müde. Na ja, Growth hat sich jedenfalls gefreut, weil er das Lamm bekommen hat.«
    »Wer ist Growth?«
    »Unser Hund - sein richtiger Name ist Buster, aber er hat an der Seite einen riesigen Knoten, und deshalb hat Rad ihn irgendwann Growth (Geschwulst) genannt, und der Name ist hängen geblieben. Wir haben ihn adoptiert, weil Bill und Daphne sich nicht richtig um ihn kümmern konnten.«
    »Wer sind Bill und Daphne?«
    Die Ereignisse im Radley-Haushalt ließen es oft nicht zu, dass Frances nachts anständig schlafen konnte. Sie erschien häufig gähnend und verschlafen in der Schule. Zum Beispiel kamen ohne Vorankündigung Freunde ihrer Mutter zu Besuch und mussten für eine Nacht untergebracht werden, und dann musste Frances ihr Bett abtreten und auf dem Wohnzimmersofa schlafen. Das bedeutete, dass sie bis in die frühen Morgenstunden aufbleiben musste, bis die Gäste, die ausnahmslos Unterhalter von großem Durchhaltevermögen waren, sich endlich nach oben begaben. So weit ich daraus und aus anderen Geschichten schließen konnte, schienen ihre Eltern fast überhaupt keine Zeit

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