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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ladenketten abgeklappert hatte: Sie war nicht der Typ, der sich von Schulvorschriften einschüchtern ließ.
    »Wer bist du?«, fragte ich, als ich mich unsicher um meinen angestammten Platz herumdrückte.
    »Frances Gillian Radley. Die Frau da« (sie meinte Dr. Peel) »hat mir gesagt, ich soll mich hier hinsetzen. Mein Bruder hat gerade ein Schachmatt in fünf Zügen entwickelt.«
    »Oh. Bist du neu hier?«
    »Ja. Offensichtlich.«
    »Wieso hast du nicht zu Beginn des Halbjahres angefangen wie alle anderen?«
    »Weil wir umgezogen sind, damit Auntie Mim bei uns wohnen kann, aber es hat sich alles verzögert, und Mum musste zu der Anwaltskanzlei fahren und Krach schlagen. Wir haben bis letzte Woche in Highbury festgesessen. Rad - das ist mein Bruder - geht dort immer noch zur Schule. Er fährt jeden Tag mit dem Zug und mit der U-Bahn. Es sind vierzehn Meilen.«
    »Rad ist ein komischer Name«, sagte ich. (Ich interessierte mich für jeden, der ein ähnliches Leiden hatte wie ich.)
    »Es ist die Abkürzung für Radley. Sein Vorname ist Marcus «, sie flüsterte es, »aber so darf man ihn nicht nennen, sonst schlägt er einen.«
    »Oh.«
    »Er mag sowieso keine Mädchen.«
    »Oh.«
    So lernte ich Frances kennen; es war das erste Mal, dass ich den Namen Rad hörte und von dem merkwürdigen Radley-Haushalt erfuhr. In den nächsten Wochen sollte ich noch viel mehr von ihnen hören.
    Am nächsten Morgen lungerte ich nervös auf dem Spielplatz herum und wartete, ob Karen wieder käme und ihren Platz beanspruchen würde. Die Wahrheit war, dass ich Frances bereits bevorzugte und hoffte, wieder neben ihr sitzen zu können, und ich fragte mich, wie ich das arrangieren konnte, ohne Karens Gefühle zu verletzen. Als die Klasse sich jedoch der Reihe nach registrieren ließ, wurde klar, dass keine von beiden aufgetaucht war, und meine Sorge musste auf einen anderen Tag verschoben werden. Nach der Hälfte der ersten Stunde, wieder Geschichte, kam von der Tür ein Geräusch, und ich sah Frances, wie sie mit leicht gerötetem Gesicht hinter der Glasscheibe auf und ab hüpfte, gestikulierte und mit dem Kopf auf die Lehrerin deutete, die ihr glücklicherweise den Rücken zugewandt hatte und etwas an die Tafel schrieb. Ich runzelte die Stirn und formte mit den Lippen: »Was tust du da?« Langsam wurden auch ein paar von den anderen Mädchen aufmerksam und kicherten. Dr. Peel sah sich streng um, als ein unruhiges Zittern durch die Klasse ging wie der Wind durch ein Weizenfeld.
    »Pst«, sagte sie scharf und schrieb weiter.
    Frances beendete ihre Pantomime und drückte die Tür auf. Sie war bereits halb an ihrem Tisch, als Dr. Peel sich umdrehte.
    »Ja?«, sagte Dr. Peel mit sarkastischer Stimme.
    »Ich bin es, Frances«, sagte Frances.
    »Das sehe ich«, sagte Dr. Peel und schürzte die Lippen. »Was tust du da?«
    »Ich gehe gerade zu meinem Tisch«, sagte sie und zeigte auf mich.
    Dr. Peel wurde langsam böse. »Was ich meine, Frances, ist: Wie kommst du dazu, zwanzig Minuten zu spät in meine Stunde zu spazieren?«
    »Oh«, sagte Frances jetzt voller Reue. »Es tut mir Leid, aber ich bin gerade erst gekommen. Ich musste unseren Hund zum Tierarzt bringen.«
    »Ich verstehe. Ich nehme an, du hast einen Brief von deinen Eltern dabei.«
    »Nein - sie sind nicht da. Deshalb musste ich ihn ja hinbringen. Er hat eine Geschwulst«, fügte sie hinzu.
    »Nun ja, vielleicht kommst du lieber am Ende der Stunde zu mir«, sagte Dr. Peel, einen Augenblick lang verblüfft.
    »Er ist eigentlich gar nicht unser Hund«, räumte Frances ein, als sie auf den Platz neben mir schlüpfte. »Aber wir wollen ihn adoptieren.« Vom Rest der Klasse, die diese Ablenkung vom Enclosures Act genoss, kam ein Kichern. Dr. Peel schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass es krachte wie ein Schuss.
    »Danke, Frances.«
    »Was ist denn mit der los?«, sagte Frances halblaut, bis ein Stirnrunzeln von mir sie zum Schweigen brachte, und die Stunde konnte ohne weitere Unterbrechungen weitergehen.
    Am nächsten Tag tauchte sie überhaupt nicht auf, und ich überlegte schon, ob ich sie mir nicht nur eingebildet hatte, aber am Donnerstagmorgen fuhren Vater und ich auf dem Weg zur Schule an ihr vorbei. Da war sie und schleppte sich in ihrer seltsamen Uniform den Hügel hinauf - ihr Blazer in einem etwas dunkleren Blau als dem vorgeschriebenen, ihr Überkleid in blasserem Grau, der Hut offensichtlich aus zweiter Hand, erstanden von einer nachlässigen Besitzerin, denn er war

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